Unsre tägliche Leiche gib uns heute?


  • Mein Fernsehgerät war ein Geschenk aus dem Kellerfundus einer Freundin, ein 'altes Hündchen' - das TV-Teil, nicht die Freundin.
    Kein Flachbildschirm, HD, und was der Annehmlichkeiten sonst noch sind. Statt dessen ein klobiges Ding mit gerade mal 7 oder 8 Programmen.
    Immerhin drei ÖffentlichRechtliche sind mir vergönnt und ein Nachrichtensender. Zudem ein Sportsender, der tagsüber zum reinen Werbekanal mutiert und später am Abend Übungen am unbekleideten, meist stöhnenden Objekt zeigt, Telefonnummer für interessierte Mitturner gleich mitgeliefert. Dann noch ein paar Private, ein Verkaufskanal, dessen Angebot mich zuverlässig überwältigt, und ganz zum Schluss noch ARTE.


    Nun bin ich nach Jahren völliger TV-Abstinenz -das Vorgängergerät hatte sich nach leisem 'Pling!' auf ewig in schwarzes Schweigen gehüllt- ziemlich TV-entwöhnt - und eher genügsam, was die Angebotsfülle betrifft.
    Aber als cineastisch interessiertes Wesen und Gebührenzahlerin lege ich durchaus Wert aufs Programm.


    Wenn ich entsprechend neugierig durch's Angebot der Sender zappe, bietet man mir tagsüber regelmäßig putzige Tiere und deren undeutlich nuschelnde Pfleger, krakeelende Familienangehörige in lautem Dauerstreit, Einblicke in fremde Wohnungen+Kleiderschränke von Frauen, die auch mal 'Kwiiieen' sein wollen, Regionalnachrichten vom Vortag, Plaudereien mit D-bis-Z Prominenten, Haushalt-Kochen-Basteltipps.
    Ab dem späteren Nachmittag wird's dann mörderisch. Jeden Tag .
    Es wird geblutet, gestorben und natürlich ermittelt, was das Drehbuch hergibt. Meist ist das nicht viel. Die Autoren schreiben entweder voneinander ab. Oder es ist ein einziger Schreiberling, der unter vielen Namen seine Grundidee variiert. Nun kann man abwägen, was einem lieber ist:
    Version 1: der ernst gemeinte Krimi mit Ermittlern, die bedeutungsvoll ihre zwei bis drei Gesichtsausdrücke vor die Kamera platzieren, oder
    Version 2: die lustig gemeinte Variante, bei der die Schauspieler möglichst blöd daherkommen - was sich nicht wesentlich von Version 1 unterscheidet.


    Noch später am Abend setzt sich die blutige Spur fort.
    Nur wird es 'härter', soll heißen: es gibt mehr KnallPeng-Effekte, das Blut fließt üppiger. Dadurch werden die Geschichten nicht intelligenter und in den wenigsten Fällen agieren die Schauspieler begabter.

    Ab 22.00 Uhr wird vorgewarnt, diese oder jene Sendung sei für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet. Ich lasse mal unkommentiert, für wie 'geeignet' ich das Angebot vor 22.00 Uhr halte. Jedenfalls steht jetzt die Arbeit der Maskenbildner im Fokus. Die Kamera schwenkt genüsslich langsam über einschlagene Schädel, abgerissene Gliedmaßen, wimmelnde Maden und andere Beweise maskenbildnerischen Handwerks.
    Die Handlung? Beliebig. Die Schauspieler? Siehe oben, Nachmittagsprogramm. Statt 'bedeutungsvoll' oder 'blöd', gilt es jetzt halt, den Gesichtsausdruck: 'Mund und Augen aufreißen = Entsetzen/Panik' zu bedienen. Naja.


    Wo, frage ich mich, sind denn bloß die anderen Sendeformate geblieben? Nein, nicht ewig gleiche Quasselbuden, Rate- oder Kochsendungen.
    Ich vermisse Filme, die noch etwas anderes zum Thema haben, denn Mord und Totschlag als allersimpelste 'Unterhaltungsstory'.
    Wo verstecken sich Eigenproduktionen der Sender wie "Das kleine Fernsehspiel"?
    Wo sind kleine, aber feine Filme über gesellschaftliche Knackpunkte? Liebe, Lust und Leidenschaft - das kann gehen, ohne zwangsläufig zur banalen Plattitüde zu verkommen. Wo sind intelligente(!) Komödien?
    Ich finde sie nicht.
    Nur die tägliche Leiche ... garantiert.


    zeit.de


    Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich eine erkleckliche Anzahl Kriminalromane mein Eigen nenne. Und ich kenne sehr gute TV-Krimis. Am Sujet liegt's also nicht. ;)


  • Von 2011 bis 2012 hatte ich gar keinen Fernseher.


    Vorher mangelte es nicht an Geräten. Es waren in der Spitze fünf Stück, die mich nach Feierabend dröhnend begrüßten. Drei gehörten meiner Frau, zwei den Söhnen.


    Nach der Trennung von meiner Frau habe ich alle TV-Geräte verschenkt. Ich habe diese himmlische Ruhe damals genossen. Ich kam nach hause und hatte einfach Ruhe! Herrlich!!


    Gegen Ende des Jahres 2012 habe ich mir dann eine einfache Lösung für den PC gekauft. Eine kleine UMTS-Antenne sendet das Signal an einen USB-Stick, der dann ein TV-Signal an den PC sendet. Mehr als 20 Programme bekomme ich damit nicht. Die genügen mir aber vollauf. Neben den üblichen Verdächtigen RTL, SAT1, Kabel1 empfange ich fast alle Dritten, 3SAT und ARTE.


    Ich schaue viel bewusster, seit ich mich TV-technisch minimalisiert habe. Und wenn ich nach einem anstrengenden, lauten, nervigen Arbeitstag heim komme, kann es durchaus sein, dass ich mich ganz bewusst für irgendeinen "Trash-Sender" entscheide, um einfach nicht mehr denken zu müssen. Dann muss es nicht wie gestern Abend bei 3Sat ( oder war es ARTE?) um die Industrialisierung der Bienenzucht gehen, dann darf es gerne auch mal Frauentausch sein. :D

  • Wofür braucht man noch großartig Fernsehen, wenn man Internet hat? Ich mach die Glotze vielleicht noch zweimal in der Woche an. Das deutsche Fernsehprogramm ist unterirdisch schlecht. Und jetzt will auch noch Stefan Raab aufhören. 8|


    Die guten Sachen habe ich alle schon gesehen, und der Trash zum Hirnabschalten ist immer noch zum fremdschämen. Da gibt es im ausländischen Fernsehen unterhaltsameren Schwachsinn. Deutsches Fernsehen spricht nur noch zwei Zeilgruppen an: Bildungsprekariatszombies und die alten Säcke, die sich Hitler zurückwünschen.

  • "um einfach nicht mehr denken zu müssen."


    Ich habe gehoert, du laesst immer denken, Reini ??


    Von daher kann es doch garnicht so schlimm sein am Abend ?? :P


    @ Grippi:

    Du laesst unberuecksichtigt, dass Fernsehen ueberall in der Welt fuer die Mehrheit der Bevoelkerung "gemacht" wird. Und weil die Masse nun nicht gerade von epochaler Klugheit bedacht wurde, sondern ziemlich "besengt" des Weges daherkommt, und die Quoten schtimmen muessen, werden solche "aussergesellschaftlichen" Wesen wie du und noch vier bis fuenf Artgenossen sich ein anderes Medium suchen muessen, um auf eure unterhalterischen Kosten zu kommen.

    Ich schaue mir in Venezuela hauptsaechlich Schpocht, Konzertauffuehrungen und wissenschaftliche Sendungen an. Auch historische Angebote. Krimis und sonstiges Unterhaltungsprogramm steht fuer mir nicht zur Debatte.


    Die vormittaglichen Hausfrauenauftritte in den privaten Kanaelen unterbieten die deutschen Sender in Sachen Banalitaeten bei weitem. Das ist nicht schwer, weil die jeweiligen Fernsehstationen ein grosses Potential an "Monkeys" in den Barrios vorfindet. Von dort werden die "Akteure" und Zuschauer angekarrt. Und wie das dann "aussieht", kann sich ein zivilisierter Europâer kaum vorstellen.


    Das Zitat: "Der Mensch ohne Bildung ist wie ein wildes Tier", trifft es beeindruckend genau. :(



  • Wenn mich das Denken überkommt :D , greife ich zu einem grad hochgelobten Buch ... und schlafe dabei ein :thumbup:


    Das Gespräch über die vielen Leichen im Fernsehen gab es bei uns kürzlich auch, agrippinensis. Gut gemacht oder geschludert, ich bin da raus.


    Eine tägliche Leiche reicht ja selbst den Öffentlich-Rechtlichen nicht.

  • Du laesst unberuecksichtigt, dass Fernsehen ueberall in der Welt fuer die Mehrheit der Bevoelkerung "gemacht" wird.


    Nicht ganz. Die USA, Südkorea und teilweise auch Japan, produzieren einen Großteil ihres Fernsehens für den Export.


    Das Irre dabei ist, daß Deutschland das zweitgrößte Fernsehbudget aller Nationen hat. Dennoch hat das deutsche Fernsehen im Inland einen sehr schlechten Ruf, wird von jungen Deutschen mittlerweile immer stärker gemieden und im Ausland will den Mist erst recht niemand sehen.


    Deutsches Fernsehen ist ein Kropf, der nur von den Zwangsgebühren am Leben erhalten wird.

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