Satire und Toleranz

  • Die Deutsche Demokratie ist in Gefahr! lesen wir.


    Was ist passiert?
    Geht es etwa um neuerliche Schändung des Grundgesetzes? Waffenlieferungen in Krisengebiete trotz grundgesetzlicher Einschränkungen? Bundeswehr plus Kriegsministerin >Treppenwitz? MdBs, die vor lauter Nebenjobs kaum noch Zeit für parlamentarische Arbeit haben? NeonaziRichter, die jahrelang unbehelligt 'Recht' sprechen dürfen? Junge Menschen, die sich radikalen (Ver-)Führern anschließen?


    Ach was!
    Es gehe um Pressezensur in Deutschland! Arbeitsverbot für Fernsehjournalisten! Die Vierte Gewalt als Kontrollorgan im Staate Deutschland wird behindert! belehrt uns das Schlagzeilengewitter.


    Dem ZDF-Team der "heute-Show" war neulich eine Drehgenemigung im Bundestag verweigert worden.
    Wenn das kein Grund zur Aufregung ist!
    Die Jungens durften nämlich nicht in einem Bereich der Bundestagslobby drehen, der -grundsätzlich- als fotografier- und filmfreie Zone ausgewiesen ist, um die Vertraulichkeit von Abstimmungen hinter den Glastüren sicherzustellen.
    Und dann durften sie noch nicht mal während der laufenden Parlamentssitzung einen ihrer Show-Mitwirkenden auf der Pressetribüne auftreten lassen und diesen -ihren- Zirkus filmen.


    Boah! Echt krass, diese Einschränkung der Pressefreiheit ... Sauerei, verdammte!
    Vox populi erschallt. Das demokratische Netz tobt und twittert.


    Oliver Welke hingegen, Herr der "heute-Show", reibt sich genüsslich die Hände.
    Nachdem ihm sein Lieblingsziel -die FDP- abhanden gekommen war, hat er nun ein ebenso unerwartetes wie willkommenes, neues Show-Thema mit running-gag-Potenzial.


    Realsatire ... :rolleyes:



  • Anlässlich der blutigen Ereignisse um 'Charlie Hebdo' ist erneut die Debatte aufgeflammt, wie weit Satire gehen darf.


    'Satire darf alles!' heißt es und wird leider oft missverstanden von Leuten, die ihre plump dreisten Witzeleien auf Kosten Anderer loswerden wollen. Satire ist aber nicht das dümmliche Verlachen Schwacher. Ebenso wenig, wie sie die satte Selbstbeweihräucherung einer 'Wir-sind-so-toll'-Möchtegernelite sein kann.
    Satire provoziert vor allem nach oben, dorthin, wo die Macht sitzt.
    Damit bewegt sie sich immer auf einem schmalen Grat zwischen Geist, gepaart mit Wissen und Humor -im besten Fall auch Selbstironie- und dem Absturz in die Plattitüde ... gern als zotiger Angriff formuliert.
    Nicht jeder kann/ist 'Charlie'. ;)


    Lesen lohnt:

    Zitat

    Karikaturen in Frankreich
    Gradmesser der Aufklärung
    Mit den Morden an der Redaktion von „Charlie Hebdo“ sollte nach dem Willen der Attentäter die Zeitschrift beerdigt werden. Bedroht ist aber noch viel mehr: eine ganze Kunstform und unser Selbstverständnis.
    09.01.2015, von Andreas Platthaus


  • Es ist viel zu wenig bekannt, dass auch im arabisch-islamischen Raum die Kunst von Satire und politischer Karikatur gepflegt wird. Der Beitrag aus 'Süddeutsche.de' gibt einen Einblick.


    Zitat

    Satire in der islamischen Welt
    Spott ist groß

    9. Januar 2015, 14:23

    • Nicht nur im Westen gibt es Satire auf Islamismus und religiöse Gewalt.
    • Humor war in der arabischen Welt schon immer die Waffe der Machtlosen. Heute ist das Lachen die höchste Form des Widerstandes gegen die Dschihadisten.
    • Die Zeichner, Sänger und Autoren gehen damit ein hohes Risiko ein.
    • Dieser Text erschien im September 2014 in der Süddeutschen Zeitung. Wegen seiner aktuellen Relevanz ist er nun hier in leichter Bearbeitung noch einmal zu lesen.

    Von Sonja Zekri

  • In Zeiten allgemeiner "Je suis Charlie"-Besoffenheit, von der gerade diejenigen besonders heftig befallen scheinen, die nicht viel von scharfen satirischen Attacken auf die eigene(!) Person und Überzeugung halten, oder die, à la ZEIT, schon mal harmlose Satiresendungen wie die ZDF-'Anstalt' verklagten, lohnt sich ein Blick zu 'Telepolis' und in die 'Titanic'.

    Damit keine Zweifel aufkommen:
    Selbst berechtigte Kritik an mangelnder Qualität eines Satiremagazins und an seinen Machern ist kein Grund, ihnen etwa 'Mitschuld' an Morden zuzuschustern, wie man es im Fall 'Charlie Hebdo' mittlerweile hören und lesen kann.


    Satire kann und soll man kritisieren.
    Mundtot machen?
    Nein!



    Zitat

    Und ich schätze mal, dass es in Zukunft keine Zeicher, Kabarettisten oder Comedians wagen werden den Islam aufs Korn zu nehmen. Es funktioniert.

    ...mutmaßt Tex an anderer Stelle im Forum.

    Dazu greife ich eine sarkastische Frage auf, die das deutsche Satiremagazin 'Titanic' stellt:

    "Müssen wir Satiriker jetzt alle den Islam schmähen?

    Zitat

    [.....]
    "Haben Sie jetzt Angst?" – "Haben Sie wirklich keine Angst?" – "Haben Sie Ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärkt?" – "Könnte so etwas auch in Deutschland passieren?" Hier nicht latente Blutgier herauszuhören, fällt mir schwer. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um journalistische Professionalität.


    "Werden Sie nun mit Zurückhaltung reagieren oder mit mehr Islamkritik?" Übersetzung: Was eine angemessene satirische Reaktion ist, bestimmen wir Journalisten. Wenn ihr unseren Vorgaben nicht folgt und dabei nicht euren Tod riskiert, seid ihr Feiglinge und also keine echten Satiriker. Eine dritte Möglichkeit wird nicht zugestanden.


    Für manche Menschen misst sich die Qualität von Satire also jetzt an ihrem Potenzial, dafür ermordet zu werden. Diese Menschen sind keine Terroristen. Es sind Journalisten, die aus der Ferne zusehen wollen, wie sich andere für ihre Pressefreiheit opfern.

  • Gestern gab es eine Sondersendung der 'Mitternachtsspitzen', den Machern schien die Winterpause zu lang angesichts der Menge an Ideen-Vorlagen, die sich derzeit bieten.

    Jürgen Becker:
    „Übertreibung, Respektlosigkeit und Verhöhnung gehören zum Wesen der Satire. Eine pluralistische Gesellschaft schützt die Satire als pointierten Input zum Meinungskampf. Das muss jeder Depp aushalten, denn wo die Satire nichts mehr darf, herrscht die Diktatur.“ >


    Keine Ahnung, wer das "Wesen der Satire" in Zweifel gezogen und verlangt haben könnte, dass sie "nichts mehr darf". Und ob dem dankbaren Herrn Reis die Brisanz seines ---öhm--- 'Wortspiels' um seinen Berufsstand bewusst war, frag ich mich auch.


    Thomas Reis:
    „Danke, dass Satire endlich mal wieder jemand ernst nimmt, das war überfällig. Sonst kannst Du Wahrheiten schreien, bis der Arzt kommt, es guckt keine Sau.
    Jetzt gibt es sie wieder, die tödliche Pointe, das wertet unseren Berufsstand ein wenig auf. Freiheit ist immer Kampf - gegen die Dummheit.“>


    Nachvollziehbar sind mir die Äußerungen von Somuncu und Schmickler:

    Zitat

    Serdar Somuncu möchte die Frage, was Satire darf, nicht mehr hören: "Da fragen mich ernsthaft Journalisten: "Und? Wie stehen Sie als Moslem und Satiriker zu den Anschlägen in Paris?" Was sagt man da? Nee, fand ich als satirischer Moslem super, die Anschläge. Waren ja Moslems, wie ich. So, als würde man einen evangelischen Kinderchor fragen: Na ihr Kleinen, wie sehr schämt ihr euch denn für die Kreuzzüge?


    Wilfried Schmickler: "Zugegeben, ich bin zurzeit ziemlich verwirrt und tue mich ein wenig schwer mit der Satire. Und das vor allem, seitdem diese Satire so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und selbst der reaktionärste Hansel einen auf Charlie macht und einfällt in den Chor der westlichen Werteverteidiger. Und jetzt alle: die Satire darf alles!"

    Quelle: "Mitternachtsspitzen EXTRA" im WDR Fernsehen: Kabarettisten für die Meinungsfreiheit



  • Bin gebeten worden, die Titanic Umfrage zu posten. Okee, hier isse.
    Ihr könntet doch mal ankreuzen und den Admins zur Auswertung schicken. :P ^^



    [12.01.2015]
    TITANIC-Montagsumfrage: Was darf Satire?

    ◻ Alles
    ◻ Alles, abgesehen von Witzen gegen meinen Lieblingsverein und die deutsche Nationalmannschaft
    ◻ Alles, aber dabei darf sie natürlich die Grenze der Satire nicht überschreiten
    ◻ Alles, aber sie muß dabei auf religiöse Gefühle Rücksicht nehmen, vor allem auf meine
    ◻ Alles, aber vor allem ist Satire dazu da, um irgendwelche Karikaturen nachzudrucken
    ◻ Alles, außer sich erschießen lassen
    ◻ Alles, außer Tiernahrung


  • Neulich noch ganz 'Charlie' und wackerer Kämpfer für Meinungsfreiheit und ätzend freche Ironie ...
    Jetzt, da er selbst auf's Korn genommen wird, ist
    Schluss mit lustig und Satire beim Pegida-Organisator Lutz Bachmann.
    Er will gegen die 'TITANIC' vorgehen, die ihm vor ein paar Tagen einen 'Gastkommentar' angedichtet hatte:



    a.a.O.

  • Im Bereich der (ungewollten) Satire sind derzeit auch Pegida-Gegner unterwegs.
    Noch vor einer Woche wurde Pedida vorgeworfen die Anschläge von Paris für ihre Zwecke zu missbrauchen. Nun ist man anscheinend vom hohen moralischen Ross heruntergestiegen und missbraucht den Tod eines Asylbewerbers aus Afrika für die eigenen Zwecke.


    Und im Gegensatz zu Paris ist bei dem Toten bis dato noch überhaupt nichts bekannt was für einen fremdenfeindlichen Hintergrund spricht.


    Fazit: Nichts als scheinheiliges Geschwätz auf beiden Seiten.

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