Die Unfähigkeit zu streiten

  • Es hat eine Zeit gegeben, da hab ich im Fernsehen gern Debatten-Sendungen verfolgt. Meist waren sie unterhaltend, manchmal witzig, gelegentlich lehrreich. Gestritten wurde engagiert, wenn auch der Austausch unterschiedlicher Standpunkte im Allgemeinen gesittet über die Bühne ging. Man blieb verhalten in der gegenseitigen persönlichen Be- und Verurteilung.
    Klar gab es auch hierbei Ausreißer. Klaus Kinskis rundum Beleidigungen, Alice Schwarzer, die gern das Auftreten ihrer männlichen Mitgäste karikierte: man denke dabei an Klaus Löwitsch' breit-bräsige Sitzhaltung, heute neudeutsch "Man-spreading" genannt - sie sind mittlerweile Legende.


    Dann kamen die Moderatoren, die sich eher als "Agent Provocateur" verstanden und die Diskussionen anheizten. Das Thema wurde mehr und mehr zur Nebensache, die Gespräche zum Geschrei. Der Fernsehzuschauer bekam kaum noch etwas mit, weil er einem lautstarken Tonsalat ausgesetzt war. Kakophonie statt Inhalt. Da hilft nur Abschalten.
    Die Tonspur hat man dank moderner Technik etwas besser im Griff, aber sind die Sendungen deshalb interessanter geworden?
    Vielleicht bei den Oberlehrer-Moderatoren? Jener sitzt nicht in der Runde sondern steht
    jeweils als Solist vor seinen Gästen, nimmt sie dran wie einst Lehrer Lempel, und wenn ihm die Antwort nicht behagt, straft er den unbotmäßigen Kandidaten mit gnadenlosem Spott oder rüden Unterbrechungen ab.


    Und die Gesprächsteinehmer?
    Allzu viele Stammgäste reden zu oft zuviel aufkosten der übrigen Geladenen. Was sie vertreten, weiß man sowieso vorher, sie haben's ja schon x-fach verkündet, in x Kameras gesprochen. Redezeit statt Qualitätszeit.
    Selbstdarsteller-Programm.
    Ist es da noch verwunderlich, dass interessante, neue Gäste meist ganz ausbleiben? Solche, die konträre Standpunkte bieten, aber mit Fragehaltung und Interesse am Andersdenkenden? Gar zur Modifizierung der eigenen Haltung bereit sind, wenn der Mitstreiter zu überzeugen weiß?


    Und wenn dann wirklich mal der Rahmen des wohlig Vertrauten verlassen wird und ein lange nicht gesehenes Gesicht in der kuschelig-etablierten Quasselrunde auftaucht, eine FRAU(!) auch noch rhetorisch zu parieren versteht? Tja, dann ist laute Empörung angesagt, und der seit Jahren fest verwurzelte Talkshow-Stammgast flieht überfordert schimpfend die sonst so heimelige Stätte.


  • Im Fernsehen Gespraechsrunden haben wir im Karibikstaat nicht mehr, weil sofort befuerchtet wuerde, dass jemand den Socialismo anzweifelt. Das ist alles vorbei. Gab es in den Anfangszeiten von Chavez. Dann wurde es verboten. War zu erfolgreich fuer die Opposition.
    Aber was ich nun lese, zeigt mir, dass bei euch zwar in der Hinsicht alles gesagt werden darf, aber die Diskussionskultur noch etwas in den Kinderschuehchen steckt. Nicht ueberall, aber sehr sehr haefig. Merkt man ja in den Foren, die jede Zeitung anbietet, um ueber ein Thema zu sprechen.
    Da muss die Redaktion haeufig eingreifen, damit es nicht ausartet. Und dass ein fest verwurzelter Talkshowgast die Flucht ergreift, wenn eine Frau ihm "Paroli" bietet, ist nur zu verstaendlich. Welcher Macho haelt so etwas lange aus ?? :P :rolleyes:



  • Da sagste was, agrippinensis! Ich kann ja kaum noch was ergänzen :D


    ... und der Medien geile, Medienheini Bosbach hat sich wieder wunderbar in Szene gesetzt, mannomann! Der talkt noch aus dem Grab ...

  • Jau, Mindfreak, das sieht Rüdiger Suchsland auch so.:rolleyes:
    *grins*
    escape, man könnte das Thema ja noch weiter fassen und ins politisch Grundsätzliche gehen. ;):D


    (telepolis)


    Hervorhebungen durch agrippinensis


  • Zitat

    Der tatsächliche Eklat liegt vielmehr daran, dass sechs erwachsene Menschen verschiedener politischer Lager gemeinsam die zunehmende Unfähigkeit vorführten, miteinander zu streiten. Das gilt für den gegenseitigen Umgang linksliberaler und linksradikaler Parteien miteinander, den Umgang der Union mit den "besorgten Bürgern" der Pegida, der AfD und den Rechtsextremisten, es gilt erst recht für die Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Seite des politischen Spektrums.

    Da liegt allerdings das Problem.


    Die erwachsenen Menschen in Talk-Shows sind zu dem das, was oft als "Elite" bezeichnet wird ... und sie beharren doch meist nur auf ihrer vorgefertigten Meinung, wissen alles besser, können nicht sachlich sein und nicht zuhören ...


    In Wahlkampfzeiten "argumentieren" sie dann auch noch parteipolitisch. Gruselig, wenn es doch um die Sache gehen sollte und um Lösungen.

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