• Irgendwo muss ich das Ding doch noch haben - aber wo?
    Baumwolle, weiß, reichlich Stickerei an Halsausschnitt, Dekolleté und Ärmeln. Teuer war sie, die Bluse aus dem fernen Chabarowsk. Andenken an eine lange, unvergessliche Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn. Hach ja. *seligseufz*
    Irgendwann wurde sie vom Bügel und Kleiderschrank verbannt und zusammengefaltet verstaut - aber wohin?


    Warum ich mich so plötzlich wieder für das alte Teil interessiere? Ich bitte dich!
    Hast du mal die einschlägigen Seiten der Modemagazine betrachtet? Nein? Dann solltest du das beim nächsten Arztbesuch aber unbedingt tun. Ein Zipperlein plagt schließlich Jeden, da gibt's keine Ausreden.
    Für den Fall, dass nichts dich plagt außer jede Menge Zeit - weswegen du überhaupt bis hierhin durchgehalten und gelesen hast - geh zum Frisör! Dort wirst du nicht nur zuverlässig mit allem relevanten Veedelsklatsch versorgt, du erfährst auch wegweisende Details aus dem Leben der Reichen und Geschönten.
    Und - nun kommt das Entscheidende - dir winkt die Chance auf Optimierung deines Style!
    Was das ist?
    Ich würd mal so sagen: "Style" ist, wenn blingbling "Stardesigner" Guido Maria Kretschmer (sprich: Kretschmaaa) dir mehr als 7 Punkte gibt.
    Also frag dich selbst: Hast du "Style"? Eben!
    Deswegen guck in die Gazetten und Magazine, wo Fotogeshopte, fettfrei Pubertierende mit Extensions auf Kopf und Augenlid (JA, das gibt es!) demonstrieren, wie Frau sich zu kleiden und zu präsentieren habe, um als Style-Ikone zu gelten. Ikone muss schon sein, drunter tun sie's nicht.


    Komm jetzt bloß nicht auf die Idee zu behaupten, der Modezirkus interessiere dich nicht. Glaubt dir sowieso keine(r), ich auch nicht.
    Schnapp dir lieber Schere, Rasierklinge und Augenbrauen-Pinzette und mach dich an deine Jeans ran! Ja, genau die, die du letztens noch in den Altkleider-Container pfeffern wolltest. Statt dessen: Beinlinge kürzen,
    Löcher reinritzen, Schnittkanten fransig zupfen. Was Omma nicht mal mehr als Staublappen verwendet hätte und zynische Assoziationen an Armut und Dritte Welt weckt, ist das totale "It-Piece" im "Destroyed-Look". Also: Anziehen!
    Siehste, so näherst du dich dem Ziel.


    Jetzt kommt meine Bluse aus dem fernen Chabarowsk ins Spiel: Folklore ist nämlich auch total in! Und Ethno ist ja sowas von total in! Das ist der angesagteste Festival-Look ever, verstehst du. Einfach hip!
    Wenn du jetzt noch kleine Bömmelkes von alten Baby- oder Puppenmützchen übrig hast -oder Omma dir zeigt, wie frau so was bastelt- bist du klar im Vorteil. Einfach an Tasche oder Sandalette friemeln und fertig ist der aktuelle "Style".


    Wie, das Festival findet wegen Regen und Matsch gar nicht statt? Ganz vielleicht und im allerbesten Fall in der Stammkneipe oder zuhause? Macht nix. Eine Ikone ist immer gestylt, egal wo!
    Frag Guido.


  • Nicht nur "Style" sondern sogar 'Stil' garantiert ein (Festival-)Accessoire, das Frau vorm Sitzpinkeln auf schmierigen Dixieklos bewahrt.



    Zitat

    Pinkelhilfe

    (Bild: Amazon)


    Das Ding hier ist für Frauen. Nicht, dass Männer nicht auch hin und wieder eine Pinkelhilfe brauchen könnten. Aber in solchen Fällen hilft dieses Produkt auch nicht mehr. Es heißt außerdem ausgesprochen unmännlich: Pullerpäppchen. Pullerpäppchen sind dazu da, dass Frauen auf dem Dixie auch im Stehen pinkeln können. Und die Männer so: "Was? Diese Femi-Nazis schrecken ja wohl vor gar nichts zurück!!!“ Doch: vor ekligen Dixies.

    (bento)

    5 ***** !!!
    :thumbsup:

  • Ich leg noch mal nach, denn auch Axel Hacke hat sich Gedanken zum gegenwärtigen 'Style' gemacht.
    Er schreibt:



    Zerrissene Jeans sind schon länger in Mode, aber was mein Blick dieser Tage streift, geht über das Bekannte und simpel Zerlöcherte hinaus: Nun ist ein Grad von Zerfaserung und artifizieller Zerlumpung erreicht, der nicht mehr zu steigern ist. Heute werden Jeans getragen, die nur einen Schritt vom Totalzerfall entfernt sind, im Grunde schon mehr Loch als Hose. Wobei interessant ist, dass man im Zerschneiderhandwerk Abstufungen von Zerstörtheit kennt, die genau zu unterscheiden sind.


    Wir sprechen hier nicht von normalen Gebrauchsspuren, die selbst an meinen Hosen zu sehen sind: Löcher in den hinteren Taschen beispielsweise, von der Geldbörse in den Stoff geschubbert: Verschleiß durch Benutzung. Nein, wir beobachten am Anfang der Zerschlissenheitstabelle zum Beispiel simple Knielöcher, die den Eindruck erwecken, als sei die Trägerin Teilnehmerin eines Knierutsch-Marathons gewesen, oder als habe der Orthopäde vor einer Knie-Operation keine Zeit gehabt, dem Patienten die Hose auszuziehen, sondern sich für den direktinvasiven Alarm-Zugriff entscheiden müssen. In solchen Fällen sieht man die Knie aus Hosenlöchern hervorlugen wie verschreckte Murmeltiere aus Erdbunkeröffnungen.


    Eine Stufe darüber: breite, nur notdürftig von weißen Fasern überspannte Löcher an den Schenkeln. Handelt es sich um sehr enge Jeans über bleicher Winterhaut, wird man die Assoziation einer aufgeplatzten Weißwurst nicht los, über deren Füllung sich Fadenreste explodierten Schweinedarms spannen. Ist die Haut gebräunt, entsteht das Gefühl, die Trägerin wolle sowohl Haut als auch Hose zeigen und habe sich für eine Art Nichthose entschieden. Hinter dieser Variante warten jene Jeans, die nicht nur zerribbelt wurden, sondern aus denen man gleich riesige Löcher schnitt. Und natürlich gibt es Kombinationen von alledem: als sei ein von seinem Werk enttäuschter, komplett übernächtigter Hosenschöpfer in bitterem Frust mit einer Kettensäge über die eigenen Kreationen hergefallen.


    Für all das gibt es eine große Zahl von Begriffen, Cut-Out-Jeans, Destroyed Jeans, Ripped Jeans, Underbutt-Jeans, das ist wie bei den Schotten, die im sogenannten Scots, einer Sprache, die ein Drittel von ihnen beherrscht, übrigens weit mehr Wörter für Schnee kennen als die Inuit, 421 sind es, flindrikin für einen leichten Schauer, feefle für herumwir-belnde Flocken. Doch das nur nebenbei.


    Warum das alles, warum? Wieso macht man das Neue mit solcher Wonne alt, das Heile kaputt? Es wird wohl mit der Sehnsucht nach gelebtem Leben zu tun haben, nach Identität und Unverwechselbarkeit, sehr menschlich. Der Kapitalismus hat auch den Zahn der Zeit unter Vertrag genommen, er lässt ihn an Hosen fressen, lässt alt aussehen, was jung ist, wie er bei Bedarf auch das Alte verjüngt, und sei es durch Hautstraffung und Gelenkersatz. Solange man jung ist, würde man die Zeit gerne vorankurbeln, ist man älter, gäbe man viel dafür, sie zurückdrehen zu können. Muss nicht jeder selbst wissen, ob er sich diesen Illusionen hingeben mag? Bisweilen sitzen wir in Cafés heute auf Stühlen, die mal eine Schule möblierten, trinken Kaffee aus Trödeltassen, durchstreifen Flohmärkte, möblieren Apartments mit Altholz. Wenn man alles neu haben kann, sehnt man sich nach Altem.


    Andererseits habe ich bei der Begriffs-Aufzählung die Distressed Jeans vergessen. Ist es nicht seltsam, das distressed einerseits »gequält« und »geplagt« bedeutet, andererseits auch »unglücklich« und »verzweifelt«?


    Na ja, es geht um Hosen. Solange Volkswagen keinen Distressed Golf anbietet, als Neuwagen mit künstlichen Beulen, verwittertem Lack und Leck in der Ölwanne, solange nicht Eigenheime zum Neupreis mit fertig eingetretener Tür, zerbrochenen Dachziegeln und blindem Fensterglas auf den Immobilienmarkt kommen und solange bei der Autobahnreparatur keine Antik-Schlaglöcher eingebaut werden, wollen wir uns mal nicht aufregen.
    (SZ)

  • Ich frag mich immer wieder, wer den neuesten Style eigentlich erfindet ... wo es doch gar nix mehr zu Erfinden gibt. Alles schon dagewesen.


    Dass man heute alles auftragen kann, was der Kleiderschrank hergibt, gefällt mir allerdings :thumbsup:

  • Dass man heute alles auftragen kann, was der Kleiderschrank hergibt, gefällt mir allerdings


    Das haben sich wohl auch der neue Heimatminister Seehofer und seine Mannschaft gedacht und damit prompt einen Londoner Maßschneider für Herrenbekleidung zum Heulen gebracht.
    Dessen deutscher Freund lässt uns an den kritischen Anmerkungen des Fachmannes teilhaben.



    @mkraetke
    "A complete style failure".
    A friend of mine is tailor for custom men's suits in London and posted this picture on fb. #Seehofer #Heimatministerium



    04:48 - 31. März 2018

    (Twitter)

    :thumbsup:


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