3. August 1914

  • Heute vor 100 Jahren erklärte Deutschland seinem Nachbarland Frankreich den Krieg, der -wie immer wieder betont wird- von niemandem wirklich gewollt war. Die unselige Tradition der deutsch-französischen "Erbfeindschaft" hatte einen weiteren furchtbaren Höhepunkt erreicht.

    Drei Jahrzehnte später, am 10. Juni 1944, verübten deutsche SS-Soldaten in dem zentralfranzösischen Ort Oradour-sur-Glane ein Massaker, bei dem sie 642 Dorfbewohner ermordeten, darunter viele Kinder.
    Nachdem die Hinterbliebenen in Oradour zuvor Jahrzehntelang jeden offiziellen Kontakt zu Deutschland abgelehnt hatten,
    besuchte als erster deutscher Spitzenpolitiker Bundespräsident Gauck die Ruinen des Dorfes. Im Namen aller Deutschen dankte er den Hinterbliebenen dafür, dass "Sie uns mit diesem Willen zur Versöhnung gegenübertreten".
    Das war beiderseits deutlich mehr als 'nur' eine Geste.


    Auch die heutige Umarmung der beiden Staatspräsidenten auf dem einstigen Schlachtfeld
    Hartmannsweilerkopf im Elsass demonstrierte den Willen und die Möglichkeit zur Überwindung einstiger Ressentiments und Feindschaften.
    Hunderster Jahrestag der deutschen Kriegserklärung? Kein Thema. François Hollande sprach ihn nicht an. Der französische Präsident setzte deutlich einen anderen Schwerpunkt - auch im Hinblick auf aktuelle, außereuropäische Konflikte:


    Zitat

    Deutschland und Frankreich hätten nach zwei Weltkriegen den Mut aufgebracht, sich zu versöhnen, sagte Hollande vor den Gästen, unter ihnen Soldaten der deutsch-französischen Brigade, Kriegsveteranen, Regionalpolitiker aus beiden Ländern sowie hundert junge Deutschen und Franzosen. Europa habe den Krieg besiegt, dies sei eine "außergewöhnliche Leistung".


    Die Geschichte Frankreichs und Deutschlands zeige, dass der gemeinsame Wille einstige "Erbfeinde" zueinanderbringen könne. So könne das aktuelle Gedenken eine Botschaft sein für all jene, die die Hoffnung auf einen Friedensprozess im Nahen Osten aufgegeben hätten, sagte Hollande. "Mehr denn je" müssten "alle unsere Anstrengungen auf einen Waffenstillstand im Gazastreifen zielen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu beenden".


    Quelle: SPIEGEL online

  • [video]http://www.youtube.com/watch?v=sYnxLSwQSeI[/video]

    Es ist an der Zeit


    Weit in der Champagne im Mittsommergrün
    Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n
    Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht
    Im Wind, der sanft über das Gräberfeld streicht
    Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat
    Deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat
    Die Zahl 1916 gemalt
    Und du warst nicht einmal neunzehn Jahre alt


    Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen
    So wie sie es mit uns heute immer noch tun
    Und du hast ihnen alles gegeben:
    Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben


    Hast du, toter Soldat, mal ein Mädchen geliebt?
    Sicher nicht, denn nur dort, wo es Frieden gibt
    Können Zärtlichkeit und Vertrauen gedeihen
    Warst Soldat, um zu sterben, nicht um jung zu sein
    Vielleicht dachtest du Dir, ich falle schon bald
    Nehme mir mein Vergnügen, wie es kommt, mit Gewalt
    Dazu warst du entschlossen, hast dich aber dann
    Vor dir selber geschämt und es doch nie getan


    Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen
    So wie sie es mit uns heute immer noch tun
    Und du hast ihnen alles gegeben:
    Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben


    Soldat, gingst du gläubig und gern in des Tod?
    Oder hast zu verzweifelt, verbittert, verroht

    Deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluss?
    Ich hoffe, es traf dich ein sauberer Schuss?
    Oder hat ein Geschoß Dir die Glieder zerfetzt
    Hast du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt
    Bist Du auf Deinen Beinstümpfen weitergerannt
    Und dein Grab, birgt es mehr als ein Bein, eine Hand?


    Ja, auch Dich haben sie schon genauso belogen
    So wie sie es mit uns heute immer noch tun
    Und du hast ihnen alles gegeben:
    Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben


    Es blieb nur das Kreuz als die einzige Spur
    Von deinem Leben, doch hör' meinen Schwur
    Für den Frieden zu kämpfen und wachsam zu sein:
    Fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein
    Dann kann es geschehen, dass bald niemand mehr lebt
    Niemand, der die Milliarden von Toten begräbt
    Doch längst finden sich mehr und mehr Menschen bereit
    Diesen Krieg zu verhindern, es ist an der Zeit


    Hannes Wader


  • Das Thema macht mich vor allem traurig ... und dann "sprachlos".


    Viel Medienrummel um den Ausbruch des ersten Weltkriegs, verblendet-kurzsichtige Politik, die vor 100 Jahren im Krieg die Lösung sah. Diskussionen darüber, ob Soldaten tatsächlich "fröhlich" in den Krieg zogen, der natürlich kurz und erfolgreich sein sollte. Die Frage, welche Rolle die Medien auch damals spielten ... ??


    Ein Ereignis scheint mir verbürgt: Ein Weihnachtsfrieden mitten im Krieg, eine spontane Verbrüderung derjenigen, die dazu verurteilt waren, sich zu bekämpfen ... sie haben sich kurzzeitig geweigert zu kämpfen, weil sie im gegenüberliegenden Schützengraben die Menschen erkennen konnten.


    Sie haben gemeinsam Weihnachtslieder gesungen und das dann als "falsche" Emotion empfunden ...??


    Das war nur ein Intermezzo. Mehr davon könnte möglicherweise kriegerische Handlungen verhindern. Krieg braucht aber ein Feindbild, Menschen "stören" da.


    Nach 100 Jahren stehen wir wieder am Anfang :thumbdown:


    Geschätzt 400.000 Palästinenser befinden sich auf der Flucht, auf einem Gebiet von der Größe Kölns, das sie nicht verlassen können. Das ist weltweit einmalig.


    Ich mag gar nicht darüber nachdenken ... ich möchte auch keine Toten "aufrechnen" und kann nicht den "Frieden" in Europa feiern, wenn grad nicht nur im Nahen Osten und in der Ukraine das "Kriegsspiel" fortgesetzt wird.


    Fazit: Wir werden wieder Tote "zählen" dürfen ... :( ;(

  • Ich stimme dir zu, 'aufrechnen' , was soll das denn bringen? Das hilft höchstens beim Verdrängen. Zahlen in solchen Zusammenhängen bleiben für mich sowieso immer abstrakte, unvorstellbare Größen. Wer kann sich denn Millionen von Toten vorstellen? Ich nicht.
    Ganz anders geht es mir, wenn ich auf Soldatenfriedhöfen vor dieser unübersehbar riesigen Anzahl an Grabsteinen oder Kreuzen stehe. Da werden die Zahlen für mich 'real' und zu Personen, die alle dasselbe Schicksal teilen mussten.


    Weit in der Champagne im Mittsommergrün
    Dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n
    Da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht
    Im Wind, der sanft über das Gräberfeld streicht


    heißt es in dem Lied. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang?
    Jedenfalls verwendet man in Britannien das Bild der blühenden Mohnblume schon lange als mahnendes Symbol gegen Krieg und für Friedenswillen.
    (Werden sogar von Jugendlichen getragen, wie vor Jahren bei einer Harry Potter Filmpremiere)
    Jetzt zum Gedenken an die Toten des Ersten Weltkriegs hat der britische
    Künstler Tom Piper eine Installation mit diesen 'Poppies' am London Tower kreiert.


    29.07.2014
    Erster Weltkrieg: Gedenken in London
    Anlässlich des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wird in London der Todesopfer gedacht. Symbolisch werden dafür im Burggraben des "Tower of London" bis Ende November 888.246 rote Mohnblumen aus Keramik gepflanzt.


    Die Bilder haben mich sehr berührt. Sie machen die abstrakten Zahlen der unfassbar vielen Opfer konkret. Jedem Toten eine Blume.
    Ein 'blutender' Tower durch rote Mohnblumen, die sich aus dem alten Gemäuer in den Burggraben ergießen. Möglicherweise wird die Installation als kitschig kritisiert, vielleicht ist sie das ja auch. In jedem Fall hat sie eine starke Wirkung.


    Ich meine, wir brauchen ungewöhnliche Mahnmale wie dieses.

  • Ein 'blutender' Tower durch rote Mohnblumen, die sich aus dem Tower in den Burggraben ergießen.

    Das Bild berührt mich auch.


    Ich wünsche mir, dass dieser Rückblick nicht folgenlos bleibt. Jede Blüte steht für einen Menschen, der sinnlos gestorben ist, wenn wir uns nicht erinnern und dann auch entsprechend handeln.


  • Ergänzung für Gastleser und professionelle HistorikerInnen: :)


    Ansatz und Fazit im Beitrag #1 sollten nicht geschlabbert werden, egal, wie lange die Schulzeit her ist:


    Trotz 'Erbfeindschaft', Kriege und grässlicher Kriegsverbrechen ist es durch den Einsatz entschlossener Politiker wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer zu einer Annäherung der ehemaligen Feinde Frankreich und Deutschland gekommen.
    Über das deutsch-französische Bildungswerk, Schüleraustausch, Fremdsprachenunterricht, gemeinsame Kriegsgräberpflege u.v.a.m. wurde das 'Versöhnungswerk' fortgesetzt.
    Der derzeitige Bundespräsident hat mit seinem Besuch in Oradour und seiner Bitte um Verzeihen ein weiteres Zeichen setzen wollen. Das ist, wenn man die Reaktion in der französischen Presse verfolgt, auch gelungen.


    Es geht nicht um "Betroffenheitsgefasel" , das bringt höchstens der Taschentuchindustrie steigende Umsätze.


    Hierum geht es:
    Überwinden von tradierten Feindbildern
    und Neuanfang trotz furchtbarer Erfahrungen ist es, was zwischen Deutschland und Frankreich gelungen ist.
    François Hollande hat diese Möglichkeit
    betont hervorgehoben, auch mit Blick auf den Nahen Osten und andere Krisenherde .



    Bitteschön, Lesehilfe-Sörviss ^^

  • Überwinden von tradierten Feindbildern und Neuanfang trotz furchtbarer Erfahrungen ist es, was zwischen Deutschland und Frankreich gelungen ist.
    François Hollande hat diese Möglichkeit betont hervorgehoben, auch mit Blick auf den Nahen Osten und andere Krisenherde .


    Hollande hat mir sehr gut gefallen. Er hat betont, dass der "Rückblick" nicht die Verantwortung für Gegenwart und Zukunft ersetzen kann.


    Gerade lese ich, dass ukrainische Bomber Donezk angreifen ...

  • Ich verstehe hier gerade die Ablehnung von 'Betroffenheit' nicht.
    Gefasel ist doch immer Blabla, aber warum sollte Betroffenheit etwas Falsches sein?


    Bei mir haben Geschichtsbücher mit ihren Zahlenangaben und Statistiken über Kriegstote und Zerstörung kaum etwas ausgelöst. Trockener Lernkram für Schüler.
    Aber der erste Besuch auf einem Soldatenfriedhof, dieses riesige Gräberfeld, das hat mich fassungslos gemacht. 'Betroffenheit' ist noch zurückhaltend formuliert.
    Natürlich nützt es wenig, wenn es dann beim Betroffensein endet. Man muss schon aktiv werden, jeder nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Aber am Anfang steht ein Erlebnis das dem Einzelnen zeigt, dass das Thema auch ihn betrifft (also Betroffenheit) und diesen Handlungswillen auslöst.


    Vielleicht gehört die Installation am Tower von London dazu?

  • Wieso? Hollande hat doch schon in Libyen und Mali Krieg geführt und Gauck kann es doch auch kaum mehr abwarten wieder loszuballern.


    Er hat zwar zum 1. Weltkriegsgedächtnis einige Reden geschwungen mit den üblichen Phrase, daß wir alle von damals etwas lernen sollten, aber konkret wollte er natürlich nicht werden. Deutlichere Worte findet er lieber auf transatlantischen Sicherheitskonferenzen.

  • Die letzte Antwort auf dieses Thema liegt mehr als 365 Tage zurück. Das Thema ist womöglich bereits veraltet. Bitte erstellen Sie ggf. ein neues Thema.