Quo vadis FDP?

  • agrippinensis: Natürlich haben sich die Zeiten geändert, und auch der von dir geschätzte ehemalige Innenminister Baum kniff 1982, als es darum ging, die "Liberalen Demokraten" zu gründen.


    Der deutsche Liberalismus war immer eine facettenreiche Bewegung.


    Der Sozialliberalismus ist - auch wenn einige das nicht wahrhaben wollen - der älteste Flügel des deutschen Liberalismus. Hier im Rheinland bildete sich im 19. Jahrhundert ein Wirtschaftsliberalismus heraus, der stärker die Unternehmerinteressen betonte. Die Liberalen machten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Fehler, das Streben der Arbeiterschaft nach sozialer Sicherheit zu unterschätzen. Vor allem waren sie nicht in der Lage, notwendige staatliche Elemente sozialer Sicherheit als Voraussetzung individueller Freiheit zu begreifen. Der Mensch, der nicht weiß, wie er über die Runden kommen soll - ich unterstelle mal, dass er sich anstrengt - der ist nicht frei. Sozialstaat und individuelle Freiheit - das sind keine Gegensätze.


    Eine liberale Partei wird sich zwischen diesen beiden Polen bewegen, wobei die SPD der Agenda 2010 starke sozialliberale Züge trägt. Was beide Flügel der Liberalen miteinander verbindet, ist das konkrete Eintreten für Bürgerrechte. Und da zeigten die Liberalen seit 20 Jahren Defizite.


    Hinzu kam ein Führungspersonal, das gut aussah, aber schöne Männer müssen nicht immer viel im Kopf haben (compi mal ausgenommen).


    Das waren smarte Bubis, die mir beim Einkaufen die Tasche hätten tragen dürfen, aber regiert werden wollte ich von denen nicht.


    Als ehemalige Jungdemokratin und parteilose Sozialliberale bin ich über das Ausscheiden der FDP nicht traurig. Ich hoffe, dass die Wolfgang Kubicki zum Vorsitzenden wählen. Herr Lindner erscheint mir etwas zu jung.

  • Dass das Führungspersonal optisch was "her" gemacht hätte, ist aber Geschmackssache. Den vernarbten Herrn Westerwelle und den ältlichonkelhaftschlüpftigen Herrn Brüderle kann ich so nicht sehen. Der einzig smarte in dem Team ist imho Lindner, der so gescheit war rechtzeitig abzutauchen aus der Führungsriege solange dort gefühlt nur Rückgratlose Lobbyisten bestimmend waren. Inwieweit er sich inhaltlich unterscheidet wisst ihr in NRW wahrscheinlich besser.


    Die justizministerin war die einzige, die mir auch fachlich gefallen hat. Die NSA affäre, Datenschutz, digitale Bürgerrechte national und international wären ein Feld auf dem liberales Gedankengut doch gut einzubringen wäre.

  • Jopp. Ich frag mich warum die FDP sich nicht mit diesen Themen befasst. Stattdessen ging es ihnen in den letzten Jahren nur um Wirtschaftsliberalismus und Unternehmensbegünstigungen. Von Bürgerrechten, gerade was die Anpassung an das digitale Zeitalter angeht, hat man nicht viel gesehen. Da braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn man abstürzt. Zwar haben die Piraten diese Themen von der FDP aufgegriffen, aber wir werden von den Medien weitesgehend ignoriert, außer wenn sie etwas Negatives über uns berichten können. Von daher hätte die FDP noch mal eine Chance, aber sie muss sich vor allem inhaltlich wieder radikal umkehren und sich den modernen Zeiten anpassen.


    Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, daß die Medien an Liberalismus garnicht interessiert sind. Die wollen Protektionismus und Leistungsschutzrechte. Das wird auch für eine FDP schwierig solche Themen gegen den Medienbetrieb durchzusetzen. Zumal die reichen Gönner auch weniger werden, wenn man sich vom Neoliberalismus wieder distanziert.



    Übrigens fand ich eure Einblicke in die politische Geschichte Deutschlands recht interessant :)

  • Die Partei hat ja auch ihre Verdienste.


    In der Zeit der Großen Koalition von 1966 bis 1969 gab es nur eine Oppositionsfraktion imBundestag: die FDP.


    Der Wechsel zur SPD bescherte der bis dahin eher rechtsliberalen Partei Anfang der siebziger Jahre eine Zerreisprobe.


    Der Wechsel zur CDU/CSU in einer laufenden Legislaturperiode 1982 war vor allem machtpolitisch motiviert, aber die damalige FDP-Spitze ließ noch erkennen, dass sie nicht nur für Hotelbesitzer Politik machte.


    Schon in den neunziger Jahren verstand sich die FDP immer mehr als bürgerlicher Mehrheitsbeschaffer für die Union.


    Fazit: Im Vergleich zu den englischen Liberalen beispielsweise war die deutsche FDP immer schon recht konservativ. Und um die Jahrtausendwende kamen dann diese Klamaukaktionen wie "Projekt 18" hinzu, und daran wirkte auch Herr Genscher mit.


    Dass die ersten deutschen Gewerkschaften von Liberalen gegründet worden sind und nicht von Sozialdemokraten (die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine 1868), würde bei einem frisch-geföhnten Jungliberalen wohl nur Kopfschütteln auslösen.


    Eine Wende hin zum reinen Sozialliberalismus brächte sicher nichts. Aber in einer Gesellschaft, in der 2/3 immer reicher werden und das letzte Drittel zurückfällt; in der staatliche Sicherungssysteme nicht mehr so leicht zu finanzieren sind; in der Fragen des Datenschutzes neu diskutiert werden müssen, da liegen doch für eine liberale Partei die Themen auf der Straße. Oder die Stromwirtschaft: Ist das noch Marktwirtschaft, was da abläuft?

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