Politikverdrossenheit

  • Jüngst erlebte ich es wieder bei einer Politikdebatte. Es ging lustigerweise wieder um den Umbau der Venloerstraße (dieses Thema scheint mich mehr zu verfolgen als mir lieb ist). Gerade viele Autofahrer beschwerten sich, daß seit dem Umbau so gut wie nichts besser geworden ist. LKWs würden immer noch in der 2. Reihe parken. Jeder war der Ansicht, daß man mit besser verteilten Ladezonen das Problem in den Griff gekriegt hätte. Die Politik und alle Verkehrsplanungsexperten hatten mal wieder versagt. Das Volk hatte es erneut besser gewusst.


    Ich fragte in die Runde warum denn niemand etwas gegen die Pläne unternommen hätte, wenn es doch jeder vorher schon besser wusste oder zumindest von sich selbst überzeugt war es besser planen zu können als unsere Volksvertreter? Daraufhin brach dann das übliche Palaver aus. Die Debatte wurde lauter, die Stimmung zorniger. Es war abzusehen, daß diese Debatte kein verträgliches Ende mehr finden wird. Mein eindringlisches Nachfragen und auch meine Vorschläge doch von der Politik mehr Bürgerbeteiligung bei solchen Dingen einzufordern blieb unbeantwortet. Man beschloss mich und meine Fragen zu ignorieren und lieber das Thema zu wechseln.


    Was soll ich über dieses konspirativen Verhalten nur denken? Wollen diese Wutbürger tatsächlich kein Mitspracherecht? Sind sie letztendlich zu faul um sich um solche Belange auch mal selber zu kümmern? Solche Einstellungen haben doch nichts demokratisches an sich. Stattdessen lebt man also lieber damit, daß es nicht nach den eigenen Vorstellungen läuft. Hauptsache man kann hin und wieder wütend werden. Ist es das worum es diesen Menschen geht? Ich meine jeder der halbwegs bei Verstand ist wird doch begreifen, daß auf diese Art sich überhaupt nichts ändert. Die ganze Diskussion war somit völlig umsonst.


    Ich hatte schon als Jugendlicher selten verstanden warum das gemeine Volk seine Vertreter so gerne beschimpft, sie als inkompetente Idioten und charakterlose Arschlöcher bezeichnet. Das hat sogar in unseren Mainstreammedien eine merkwürdige Tradition. Ich sehe Comedysendung wo ein stammelnder Witzemacher mit zusammengekniffenen Augenbrauen zusammenhangslos ausruft "Unsere Politiker sind doch alles Schwachköpfe" und das ganze Publikum fängt an zu lachen und zu gröhlen. Eigentlich sollte ein Witz doch erstmal aufgebaut werden und nicht einfach nur die Pointe erzählt werden. Oder ist mir der Aufbau entgangen, weil mir das Vorwissen fehlte? Glaube ich kaum, denn wenn ich jemanden, der so etwas witzig findet, um eine Erklärung bitte kommen solche erkenntnisreichen Antworten wie: "Das ist halt einfach so".
    Vielen Dank für deine Anstrengung :/


    Im Grunde bestätigt das nur, was ich mir auch schon in der Blüte meiner Jugend dachte: Politiker sind garnicht so dumm. Sie sind eigentlich sogar recht schlaue Leute. Intelligenz bemächtigt einen allerdings auch der Lügen und des Betrugs an weniger Intelligenten. Wenn ein Bürger sich also von einem Politiker "verarscht" fühlt, wer ist dann eigentlich der Idiot? Wenn ein Politiker guten Glaubens zwar bemüht ist gemäß seiner Fähigkeiten das Richtige zu tuen, dann aber dennoch vom eigenen Volk unverhältnismäßig beschimpft und angegriffen wird, wer ist dann das Arschloch? Angesichts der Tatsache, daß Politiker in einer Demokratie im Schnitt besser gebildet sind und weitaus mehr Arbeitsbelastung haben als das Durchschnittsvolk müssen demnach die Idioten und Arschlöcher vor allem im gemeinen Volk zu finden sein und nicht in der Politik.


    Seitdem ich selbst einer Partei beigetreten bin und selber versuche Politik zu gestalten verstärkt sich dieser Eindruck mehr und mehr. Unter Politikern findet man hin und wieder sogar fruchtbare Gespräche, aber außerhalb? Zumindest nicht wenn ich als Politiker auftrete. Als solcher wird man nur überhaupt mit den üblichen Klischees überhäuft oder muss sich selber schon den Pöbeleien aussetzen, selbst wenn man überhaupt keine politische Macht hat. Dabei versuche ich nicht einmal irgendwelche abwegigen ideologischen Positionen zu vertreten. Als Pirat geht es mir fast nur darum die Menschen zu mehr Demokratie und Entscheidungsbeteiligung aufzufordern. Aber wie das Beispiel oben zeigt ist das schon ausreichend um auf kategorische Ablehnung zu stossen.


    Wenn ich mir anschaue was für Möglichkeiten das Internet für eine Demokratie bietet finde ich es erstaunlich wie wenig Bereitschaft die demokratischen Völker dieser Welt zeigen, um diese Technologie für ihre Demokratie zu nutzen. Nun ist mir der Rest der Welt so ziemlich egal. In Deutschland habe ich zumindest die Möglichkeit innerhalb der Partei an neuen Demokratiekonzepten mitzuwirken. Wenigstens schon einmal experimentell durchzugehen, wie ein System direkterer demokratischerer Bürgerbeteiligung irgendwann mal funktionieren könnte. Nun sind aber auch in Deutschland gerade mal ein paar Tausend Bürger an diesem Projekt beteiligt. Der Rest zetert und lästert zwar gerne, ist aber wohl nicht bereit sich selber mal zu bemühen oder gar Verantwortung zu übernehmen.
    Keine andere Partei hat ein Interesse daran die Demokratie zu erweitern und Möglichkeiten zu erarbeiten den einfachen Bürger mehr an der Politik zu beteiligen. Kaum jemand zeigt sich auch sonst bereit daran mitzuwirken. Dabei könnte in die Piratenpartei jeder eintreten, selbst wenn er Mitglied einer anderen Partei ist. Die Piraten erlauben Doppelmitgliedschaften. Oftmals erwähne ich sogar, daß man doch in die Piraten eintreten könnte um an Liquid Feedback und ähnlichen mitzuarbeiten und trotzdem eine andere Partei zu wählen, wenn man den Piraten nicht genug Sachkompetenz zutraut. Wer sich überhaupt nicht mit der Partei befassen will, den empfehle ich gerne seine eigene Partei zu gründen oder unabhängig davon an einem System zu arbeiten. Aber egal wie ich es auch biege und breche, als Antwort gibt es immer das betretene Schweigen. Man will offenbar nicht!


    Manchmal begegne ich dann doch einer ehrlichen Haut. Einige geben zu, daß sie garkeine andere Demokratieform haben wollen. Sie bevorzugen die Repräsentativdemokratie, weil sie sich dort nicht soviel anstrengen müssen. Sie überlassen die politische Arbeit lieber kompetenteren Leuten. Vermutlich sind diese ehrlichen Typen aber auch keine wütenden Schreihälse. Aber was ist die Antwort der anderen, die mir keine Antwort geben? Denken die genauso, aber trauen sich nicht es zuzugeben? Haben wir in Deutschland hinter vorgehaltener Hand etwa gewaltige Mehrheiten, die gar keine richtige Demokratie wollen? Die sich lieber führen lassen und Böcke brauchen, die sie mit ihren Sünden belasten, so wie man einst seine Sorgen und Probleme in Gottes imaginäre Hände legte? Oder haben diese Mehrheiten tatsächlich die berechtigte Angst davor, daß hinterher herauskommen könnte, daß sie selber noch viel unfähiger sind, als diejenigen, über die sie so gerne schimpfen?


    Aber ich will auch nicht zuviel schwarzmalen. Das es auch anders geht beweist momentan Friesland. Dort wurde vor einigen Wochen ein eigenes Liquid Feedback Projekt gestartet, in dem die Bürger schonmal über kleinere Anträge abstimmen können. Ganz ohne Piratenpartei! Wenigstens ein Fleck unserer Republik will also auch tatsächlich eine solche sein. Da kann man wirklich gespannt sein, wie sich das entwickelt und ob es vielleicht nicht doch auch andere Kommunen zu ähnlichem ermutigt.
    Der Rest des Landes hingegen will mich wohl zur Verzweiflung treiben :)


    Wie sieht es bei den Stadtmännikens aus? Beteiligt ihr euch an solchen Projekten? Würdet ihr euch mehr politische Beteiligung wünschen als alle 4 Jahre euer Kreuz zu machen? Seid ihr mit dem jetzigen System dennoch zufrieden?


    Bitte antwortet mir. Schweigt mich nicht an! :D

  • Es ist einfach bequem, aus der Deckung heraus zu schießen. Allerdings hört bei dem meisten das aktive Mitwirken an demokratischen Prozessen bei der eigenen Bequemlichkeit auf. Viele von denen, die alles besser wissen, bekommt man schnell still, wenn du ihnen tatsächliche Mitarbeit anbietest. Diese Mitarbeit würde dann aber ihre Freizeit betreffen. Das wird regelmäßig von den meisten abgelehnt. Und die, die die demokratische Mitbestimmung über ihr Freizeitverhalten stellen, können dann wenigstens sehen, gegen welche Wände man läuft, und welche Dinge unabänderbar sind. Und bei Erfolglosigkeit werden sie dann schnell selbst zum Ziel der Heckenschützen. Also belässt man es beim Wutbürger.

  • bh_roth hat es auf den Punkt gebracht.


    Persönliches Engagement bedeutet Zeit aufwenden zu müssen. Das ist vielen zu lästig. Also geht man wählen (oder auch nicht) und schimpft anschließend über die Scheiß-Politiker, die nicht das tun, was man von ihnen erwartet hat. Dass diese Politiker in einer Demokratie vielen Sachzwängen unterliegen, will man nicht sehen.


    Persönlich war ich in den 1980er-Jahren im Vorstand eines Kölner SPD-Ortsvereins aktiv. Wegen eines Umzugs innerhalb Kölns hätte ich den Ortsverein wechseln müssen. Da mir die Köppe des "neuen" OV nicht passten, habe ich es ganz gelassen. Die Sache schlief ein...


    Obwohl die Piraten kein wirkliches Parteiprogramm hatten (meine persönliche Meinung) druckte ich mir vor Monaten eine Beitrittserklärung aus. Ich wollte sie auch ausfüllen und absenden. Dann kamen Renovierung und Umzug. Die Sache schlief ein...


    Du hast mich mit deinem Beitrag aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Ich werde mir die Sache erneut durch den Kopf gehen lassen. Da ich für mich Prioritäten setzen muss, steht die Fertigstellung meiner neuen Wohnung allerdings ganz oben auf der Liste. Erinnere mich im Januar noch mal an die Piraten.


    Es herrscht zwar die Meinung vor, dass diese Partei aus unterschiedlichen Gründen nicht wählbar sei; das aber sagte man auch einmal von den Grünen.

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