Allerhillije op Melote. Wenn sich de Famillich triff

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    Alle Jahre wieder. 1. November: Allerhillije“.


    Der Tag ist zum Treffpunkt für die ganze Familie geworden, die in Deutschland, ja in aller Welt verstreut ist. Selbst der Spross aus New York ist bis auf eine Ausnahme all die Jahre pünktlich angereist, und die Nichten und Neffen aus Bayern bilden eine Fahrgemeinschaft oder reisen per Gruppenticket mit der Bahn an.


    Für die alte Frau Schmitz ist es „das“ Fest im Jahr, obwohl es ihr auch immer wieder schmerzliche Gefühle bereitet, dass nur an diesem Tag ihre ganze Familie versammelt ist und danach wieder auseinander strebt. Aber so ist das Leben, und sie wäre nicht Realist, würde sie das nicht auch genau so akzeptieren. Also freut sie sich auf den Tag, jedes Jahr neu.


    Allerhillije op Melote, das ist Gedenken und Volksfest in einem. Das ist Trauer und Freude, das ist für die Kinder seit jeher „Lämpchen gucken“, und für die Betreiber der ansässigen Blumengeschäfte schlichtweg „Kohle“. Gäbe es Parkgebühren zu zahlen rund um Melaten: der Parkwächter machte allein an diesem Tag ein Spitzen-Geschäft.


    Früher war es mehr als heute auch die Schau der Prominenz. Allerhillije muss mer sich op Melote sinn losse… Man führte den neuen Ozelot-Mantel aus, egal, wie viele Plusgrade das Thermometer anzeigte. Man begutachtete das Grab der lieben Angehörigen, diskutierte darüber, ob man nicht vielleicht doch besser den Gärtner wechsle, weil der das Grab nun doch nicht nach dem wirklichen Geschmack und Auftrag zurecht gemacht hat, und anschließend ging man, was sonst, schick essen.


    Heute ist das in tausenderlei Form noch ähnlich, vielleicht nicht mehr ganz so förmlich. Frau Schmitz kann ein Lied davon singen, aber in erster Linie freut sie sich doch auf diesen Tag wie eine Schneekönigin. Für sage und schreibe 28 Personen muss sie einen Tisch bestellen – gar nicht so einfach an „Allerhillije“ und dann noch in der Nähe von „Melote“. Sie hat schon drüber nachgedacht, einen Catering-Service zur Trauerhalle zu bestellen – dort ist die Vorhalle ja überdacht. Aber das wäre nicht so passend und würde doch zu viel Aufsehen erregen.


    Jupp wird hoffentlich nicht wieder in seinem schwarz-rot-karierten Sakko kommen, geht es Frau Schmitz durch den Kopf… und die Elisabeth mit ihren 20 cm hohen Stöckelschuhen (gefühlte Höhe)…die stitzelt dann immer hinterher und ruft: "Nicht so schnell, das lassen meine Schuhchen nicht zu."


    Die Enkelkinder sind – verständlich – außer Rand und Band, haben schon allzu oft Verstecken gespielt rund um die Gräber. Das kann Frau Schmitz ihnen kaum verdenken, denn diese tollen Gräber laden fast dazu ein; Frau Schmitz sieht das immer mit einem lachenden Auge, aber sie will natürlich nicht die Erziehungsversuche ihrer Kinder untergraben, so schweigt sie und genießt – nur innerlich in sich hineinlachend.


    Problematisch wurde es einmal, als eines der Kinder spurlos verschwunden war. Man stelle sich an Allerheiligen die Völkerwanderung auf Melaten vor – wie auf der Schildergasse zur besten Verkaufszeit. Der kleine Bruder wurde befragt, wo er die Schwester zuletzt gesehen habe… und mit detektivischem Gespür führte er die Famillich zu einem riesigen Grabstein, der völlig mit Efeu bewachsen war. Dort war die kleine Schwester emsig dabei, Ableger dieses wunderschönen dunkelgrünen Efeus zu erbeuten. Sie erklärte, dass man damit auch das Haus der Familie in Euskirchen begrünen könne, das sähe bestimmt „klasse“ aus.


    Frau Schmitz ist ja auch keine ganz so Unbekannte, wenngleich keine Prominente, in Köln. Und wenn sie sich mit ihrer großen Familie auf dem Weg zum Familiengrab befindet, ist das auf „Melote“ und "opAllerhillije "auch ein gesellschaftlicher Event. Die Familie verzweifelt manchmal, wie oft der Tross anhalten muss und Mutter Schmitz Bekannten begegnet: Hände schüttelt, ein wenig erzählt, ein wenig lacht… tröstet, denn „der Frau Heinichen ihre Mann is doch jrad erst unger de Äd jekumme“…


    Und bei jeder Begegnung ist es Mutter Schmitz wichtig, die Familie vorzustellen…alle 28 finden Erwähnung. - Das dauert!


    Nur der jüngste Sohn Fritz darf schon mal vorsichtig drängen…es sei ja noch ein Stück Weg bis zum Grab… und Melaten ist wirklich sehr weitläufig.


    Fritz ist es auch, der dem Ganzen doch immer wieder vorsichtig ein Gefüge geben kann. So hat er im letzten Jahr einen Rekord fabriziert: de Famillich hat lediglich dreieinhalb Stunden op Melote verbracht. Die Kinder waren müde und wurden kratzbürstig, der sechsjährige Olaf meinte doch glatt: „Oma, jetz isset jenoch, ich han Hunger bis unger beidse Ärmcher. Lommer jonn!“


    Das anschließende gutbürgerliche Mittagessen ist immer von großer Gelöstheit. Manchmal war es kalt und usselig op Melote, dann braucht man erst mal ein Schnäpschen zum Aufwärmen und eine Hühnersuppe als Vorspeise. Ansonsten weed jeschwaad un jeschwaad… - Dem lang gedehnten Mittagessen folgt ein Kaffee, ein Stückchen Kuchen, für die Kinder ein Eis... und dann ist es auch schon bald Zeit zum Aufbruch.


    Draußen vor der Tür des Lokals fragt Frau Schmitz alljährlich, wer denn jetzt noch mal mitgehen wolle… es dämmert schon bald… und: „Lämpche luure op Melote, dat muss doch….“.


    Der Großteil der Familie hat aber noch einen längeren Heimweg vor sich, und meist geht nur Enkel Olaf (s.o) voller Begeisterung mit der „Omma“ nochmal auf den Friedhof…. Und zwischen den Gräbern und den Lämpchen erzählt er seiner „Omma“ Geistergeschichten. Und die tut ganz erschrocken und sagt, dass sie sich fürchtet.


    Und sie greift die Hand vom kleinen Olaf ganz fest und hat das Gefühl, dass sie noch einmal alle 28 Mitglieder ihrer lieben Famillich „an der Hand hat“. Dabei ist ihr bewusst, dass nicht alle 28 wirklich gern an diesem Tag mit ihr „Allerhillije fiere“. Zumindest: dass einige sich wirklich aufraffen müssen. Aber sie kommen. Sie haben über viele Jahre hinweg keine Ausreden benutzt. Sie sind gekommen.


    Alle.


    Immer.


    Ihr zuliebe. Sie wissen, wie wichtig es für Frau Schmitz ist. Frau Schmitz fühlt sich von ihnen geliebt. Das ist die Hauptsache.

  • Es hört sich möglicherweise seltsam an, aber ich mag Friedhöfe ... Orte der Ruhe in unserer hektischen und lauten Zeit.


    An Allerheiligen ist es damit allerdings vorbei, da wird dem Ritual gehuldigt, ein Hochfest der römisch-katholischen Kirche wird begangen, was ich immer sehr zwiespältig sehe. Was will ich mit Heiligen? Schon die Vorstellung ist für mich eher heidnisch. Am Tag nach Allerheiligen begeht die römisch-katholische Kirche dann den Allerseelentag, an dem der Armen Seelen im Fegefeuer gedacht wird. Gruselig, wie hier mit der Angst der Menschen gearbeitet wird.


    Dass die Kölner daraus ein Familientreffen machen, ist mir sympathisch. Frei nach dem Motto: Ich glaube an den lieben Gott ... und hab auch immer Durst.


    Melaten ist allerdings in der Tat mehr als ein Friedhof, die Hauptwege heißen inoffizell auch Promenaden ... und sie sehen auch so aus. Das Mausoleum der Familie Deichmann z. B. spricht für sich ...


    Nein, ich möchte nicht auf Melaten beerdigt werden. Ich habe mir einen ruhigen Friedhof ausgesucht ... ohne Touristenströme, Kulturliebhaber, Tierfreunde und sonstige Liebhaber ...

  • Zitat escape: "Dass die Kölner daraus ein Familientreffen machen, ist mir sympathisch. Frei nach dem Motto: ............ "


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    Liebe Friedhoefe auch; aber ich finde den Rummel zu Allerheiligen ein Fest der Blumen- und anderer Haendler. Ist wie Muttertag:


    Zum 1.11. werden die Graeber nach 365 Tagen wieder hergerichtet, weil ALLE 'kontrollieren kommen" und ihre neuen Wintermaentel vorzeigen...............
    Zum Muttertag wird die Mutter " in Ehren gehalten" ............................................



    Doch was an den anderen 364 Tagen passiert ..... wen kuemmerts


    Sieht ja keiner / geht keiner hin



    Das waren meine 5 cents