Satire und Toleranz

  • Wer Merkels fünfminütige Rede zur Zulassung des Strafbegehrens aufmerksam verfolgt hat, muss eingestehen, dass diese Ansprache nichts anderes war, als ein Abwatschen des türkischen Umgangs mit Menschenrechten, der Meinungs- und Pressefreiheit und letztlich speziell mit der türkischen Handhabung des Begriffs "Rechtsstaatlichkeit".


    Das kann man auch anders interpretieren. So wie Erdogan das nämlich tut. Er agiert, als ob er seinen Willen bekommt. Er inszeniert vor dem türkischen Volk und auch seinen türkischstämmigen Anhängern in Deutschland als starker Mann, der Europa nun völlig in der Hand hat.


    Die Botschaft, die du hingegen dahinter siehst scheint irgendwie nicht bei denen anzukommen, bei denen sie ankommen sollte.


    Alternativ hätte Merkel Böhmermann den Rücken stärken können indem sie das Strafbegehren abgelehnt hätte. Zu welchem Preis? Ja, wir hängen in der Flüchtlingsfrage leider in einer etwas unseligen Abhängigkeit mit der Türkei und damit letztlich Erdoĝan. Man weiß nicht, wie er bei einer Ablehnung reagiert hätte. Im ungünstigsten Fall hätten es tausende Flüchtlinge ausbaden müssen. Wer möchte damit sein Gewissen belasten?


    Du findest also es ist richtig, wenn wir uns dauerhaft mit den Flüchtlingen erpressen lassen? Die Türkei trägt mit ihrer Unterstützung der islamistischen Opposition eine der Hauptverantwortungen für den syrischen Bürgerkrieg. Ohne ihr Engagement hätten wir womöglich garnicht Millionen von Syrern in den Lagern. Die Türkei, Saudi-Arabien, die USA und einige ihrer Vasallen, die haben kein Gewissen, wenn sie im Nahen Osten Tod und Krieg verbreiten, wie sie lustig sind, nehmen selber keine Flüchtlinge auf, oder wenn eben nur um uns damit zu erpressen. Die Türken brauchen kein Gewissen, wenn sie an ihren Grenzen auf Flüchtlinge schießen, oder notfalls die Flüchtlinge in Booten im Mittelmeer aussetzen, aber wir schon? Die USA brauchen keins, obwohl trotz ihrer Hauptverantwortung an den meisten Kriegen im Nahen Osten und trotz ihres Wohlstandes kaum Flüchtlinge aufnehmen, aber wir schon?


    Wenn Merkel von Anfang an ihre Flüchtlingspolitik moralisch nachhaltig durchdacht hätte, dann hätten die Türken nun nichts in der Hand um uns zu erpressen. Schon garnicht Millionen von Menschenleben.


    Aber deswegen kann man einen Fehler nicht mit weiteren Fehlern korrigieren. Wo soll das enden? Soll Erdogan verlangen Bundeskanzler von Deutschland zu werden, weil er sonst alle Flüchtlinge vergasen wird? Wäre es dann deiner Meinung nach auch richtig, Erdogan eben zu jenem Bundeskanzler zu ernennen, weil wir es gewissentlich nicht verantworten könnten, wenn er die Flüchtlinge vergasen würde?


    Ja, eine Strafanzeige als Privatmensch, aber nicht als "Majestät". Die Hat Merkel ihm jetzt "geschenkt".


    Eben. Erdogan hätte als Privatperson immer noch Klage erheben können. Hat er ja sogar vorsorglich. Nur mit Merkels Erlaubnis klagt nun der türkische Staat gegen Böhmermann, und nicht Erdogan.


    Inwiefern also unsere Rechtsstaatlichkeit und unsere Gewaltenteilung nun durch Merkels Kniefall bewiesen wird erschliesst sich mir nicht. Das hätte auch ohne Merkels Genehmigung geklappt.

  • Gerade noch gelesen, daß die Türkei wohl den ARD-Korrespondenten Volker Schwenck am Flughafen von Istanbul festgesetzt hat. Wollte wohl über den Syrienkrieg berichten und ist nun eine unerwünschte Person.


    Vielleicht befürchtet Erdogan, daß es so etwas irgendwann mal in die Schlagzeilen der deutschen Verschweigerpresse schafft:


    http://www.heise.de/tp/artikel/47/47995/1.html


    Wie ist es eigentlich mit unserem Gewissen vereinbar, daß wir kollektiv wegschauen wie Erdogan einen Krieg und ethnische Säuberungen im eigenen Land gegen eigene Staatsbürger durchführt und somit noch mehr Flüchtlinge produziert? Wir können doch nicht auf der einen Seite behaupten, wir würden uns um Flüchtlinge sorgen, wenn uns auf der anderen Seite die Fluchtursachen überhaupt nicht kümmern.




    Warum Merkels Entscheidung überhaupt gegen Erdogan gerichtet sein soll, wird indes immer unklarer:



    Quelle: Focus


    Merkel hat also wohl auf Erdogans Wunsch die Beseitigung des Paragrafen auf 2018 verschoben, um eben ein Verfahren und ein mögliches Urteil gegen Böhmermann überhaupt noch möglich zu machen.

  • Erdoğan hat allen Grund, Berichte über seine Feldzüge gegen ethnische Minderheiten und Oppositionelle zu scheuen. Die deutsche "Verschweigerpresse" ist nämlich so verschwiegen nicht. Ergo gab es bereits vor dem Einreiseverbot für Volker Schwenck einen AkkreditierungsStopp für den langjährigen Istanbuler Spiegel-Korrespondeten Hasnain Kazim und anderer Berichterstatter. Jeweils ohne Begründung, versteht sich.


    Dem Londoner "Spectator" wurde die ungebremste Selbstherrlichkeit des türkischen Präsidenten einfach zuviel, ebenso sehr ärgerte ihn Frau Merkels Entscheidung auf Zulassung einer Strafverfolgung Böhmermanns nach dem "Majestätsbeleidigungs-Paragraphen" 103 StGB, der eher Monarchien zuzuordnen sei, als einer modernen Demokratie.
    Aus Solidarität mit dem deutschen Satiriker rief der "Spectator" daher zu einem Wettbewerb auf:
    Gesucht werde der fieseste und beste Schmäh- und Spottreim gegen Recep Tayyip Erdoğan. Ein Beispiel-Limerick mit deutlichem Seitenhieb auf Angela Merkel wurde auch gleich mitgeliefert, und dem Gewinner winkt eine Belohnung von £1000.


    Also los, ihr Dichter, Denker und Reimer! Ran ans Werk! :thumbsup:


  • Erdoğan hat allen Grund, Berichte über seine Feldzüge gegen ethnische Minderheiten und Oppositionelle zu scheuen. Die deutsche "Verschweigerpresse" ist nämlich so verschwiegen nicht. Ergo gab es bereits vor dem Einreiseverbot für Volker Schwenck einen AkkreditierungsStopp für den langjährigen Istanbuler Spiegel-Korrespondeten Hasnain Kazim und anderer Berichterstatter. Jeweils ohne Begründung, versteht sich.


    Mir geht es hierbei wieder um die Verhältnismäßigkeit. Im Ukrainekrieg wurde noch jede von Poroschenko gemeldete russische Panzerkolonne systematisch in die Schlagzeilen gedrückt, auch wenn diese nie existiert haben, und beim Kurdenkrieg gibt es höchstens mal Randartikel. Über Cizre habe ich bislang kaum etwas in den Leitmedien mitbekommen. Kann man da nicht drüber berichten, selbst wenn man nicht vor Ort ist? Kann man nicht Meldungen von Menschen auswerten, die vor Ort sind? Kann man da nicht genauso inflationär Kolumnen und Kommentare produzieren, wie zu den Kriegen die im westlichen Sinn sind? Wieso schenkt man diesem Konflikt nicht dieselbe Aufmerksamkeit?


    Naja, die Kurden werden immer noch relativ viel beachtet. Für die Jemeniten interessieren sich die Medien ja nun wirklich garnicht. Und um es schonmal vorweg zu greifen: Auch wenn du jetzt wieder einzelne Artikel irgendwo herauskramst ändert das nichts an der allgemeinen Aufmerksamkeit, die dafür erzeugt wird :)

  • Womit wir wieder bei der Praxis des ungeprüften Abschreibens, der mangelnden Eigenrecherche und der fatalen Huldigung des 'Schnellschnellerl!-Journalismus' wären.
    Und natürlich bei der Macht und Verantwortung von Presseagenturen bei ihrer Nachrichtenauswahl.


    Hier im Satire-Thread frag ich mich natürlich, ob du denn auch ein Gedicht auf Erdoğan anbieten kannst und am Wettbewerb des Londoner "Spectator" teilnimmst. ^^



    sott.net

  • Aber lyrisches Österreichisch :rolleyes: kriegste hin, oder?

    Das nächste Gedicht ist fällig, Beleidigungsklagen erfreuen sich nämlich auch dort grad großer Beliebtheit.



    Hakenkreuz-Post nach Wahl
    Nazi-Schnitzel: Österreicher zeigt die "heute-show" an

    SK, 27.04.2016 14:18 Uhr



    Die "heute-show" reagierte auf den Wahlerfolg von Norbert Hofer (l. FPÖ) mit diesem Post.
    Ein ehemaliger Parteigenosse hat dagegen jetzt Anzeige erstattet.


    Foto: dpa/Facebook


    Zitat

    Auch die Freiheitliche Partei selbst hat laut deren Pressesprecher eine Anzeige gegen das ZDF erwogen. Da aber Norbert Hofer in dem Facebook-Post nicht direkt beleidigt werde, habe man mangels Erfolgsaussichten davon Abstand genommen. In der Tat: Zumindest der berühmt gewordene § 103 Strafgesetzbuch über die "Majestätsbeleidigung" greift im Fall des FPÖ-Kandidaten wohl nicht. Denn noch ist Norbert Hofer nicht Bundespräsident.


    Und noch kann es nach der Stichwahl am 22. Mai zwischen Hofer und dem ehemaligen Grünen-Obmann Alexander Van der Bellen heißen. "Österreicher wählen so wie sie es vom etwas älteren Blattsalat kennen, innen knackig grün und nur an den Rändern braun."

    abendzeitung-muenchen.de

  • So sieht es der 'Postillon'

    Wiener Kunstakademie bietet FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer Studienplatz an

    Wien (dpo) - Die renommierte Akademie der bildenden Künste Wien hat dem österreichischen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) heute überraschend einen Studienplatz für Malerei angeboten. Obwohl er sich eigenen Angaben zufolge nie um einen Platz bewarb, muss Hofer nun überlegen, ob er seine politische Laufbahn fortsetzt oder lieber eine schillernde Karriere als angesehener Künstler einschlägt.


    "Wir sind in den letzten Wochen verstärkt auf Herrn Hofer aufmerksam geworden und möchten ihn gerne bei uns willkommenheißen", erklärt Rektorin Eva Blimlinger. In der Vergangenheit habe die Hochschule manchem vielversprechenden Feingeist nicht immer seine verdiente Chance gegeben und ihn so unnötig in die Politik getrieben. "Das soll sich nie mehr wiederholen", so Blimlinger.


    Dabei gibt sich die Hochschule zuversichtlich, den 45-jährigen FPÖ-Politiker auch ohne Vorlage einer Bewerbungsmappe guten Gewissens annehmen zu können. "Ob er tatsächlich das nötige Talent hat, wissen wir natürlich nicht, aber wir können es eben auch nicht ausschließen", erklärt die Rektorin. "Das nötige Ego hat er in jedem Fall. Für eine Karriere als Postkartenmaler reicht das am Ende mindestens."
    Allerdings warnt Blimlinger auch: "Ein Studium an der Akademie ist kein Zuckerschlecken und verlangt viel Aufmerksamkeit. Der Rest geht für ausschweifende Studentenpartys und WG-Putzdienst drauf. Für Politik oder das Verfassen eines politischen Manifests bleibt da in der Regel keine Zeit."


    Sollte Hofer das einmalige Angebot annehmen, könnte er bereits nächste Woche als frischgebackener Kunststudent in einem eigens für ihn eingerichteten Wachsmalkreiden-Kurs seine ersten künstlerischen Erfahrungen sammeln.


    dan, ssi; Foto Kunstakademie: Peter Haas, CC BY-SA 3.0,

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