237 Gründe, Sex zu haben

  • 237 Gründe, Sex zu haben



    Bilder kommunizieren Stimmungen


    Wer im Blog schreibt, will beachtet werden. Wer deshalb überlegt, was die anderen neugierig macht, wie er eine lebhafte Diskussion anzetteln könnte, oder auch zur ständigen Auf- oder Abwertung provozieren, hat den Zahn der Zeit erkannt, nein ... ist auf den Zug der Zeit ... ach, wie auch immer.


    Was hier im Kleinen [bei den stadtmenschen] geschieht, beherrscht auch den Online-Journalismus immer stärker. In den USA werden die ersten Journalisten nicht mehr nach der Wortzahl, sondern nach Klicks bezahlt. Klicks dienen auch der Befriedigung des Autors. Das führt verstärkt zur Themeneinschränkung.
    Tiergeschichten laufen immer, Liebesgeschichten auch. In den USA am häufigsten gelesen: der Beitrag einer Frau, die Regeln aufstellt, wie man in Anlehnung an die Delfindressur den eigenen Mann konditionieren kann. Jede kann es ausprobieren. Kombination von Tier- und Liebesgeschichte ist unschlagbar. Bemerkenswert: Mit umgekehrtem Vorzeichen könnte man das heute nicht schreiben, da wär es politisch nicht korrekt. So geht's aber!


    Jedes große Online-Portal veröffentlicht ein Ranking der meistangeklickten Beiträge, oder auch der meisten Kommentare. Wir müssen uns also keine Gedanken darüber machen, wann der KStA die Sternchen abschafft. [In dem Punkt habe ich mich damals geirrt] Der ewige Streit darüber erhöht die Klicks ebenso, wie das damit verbundene ständige Voting. Und die
    Klicks sind vor allem ein Wirtschaftfaktor. Sie gelten als Indikator für die Reichweite
    eines Portals und bestimmen damit die Preise für Werbekunden. Zu diesen Überlegungen sind wir ja hier im Blog auch schon gekommen.


    Also überlegen auch die Redaktionen, durch welche Formate sie die Klicks steigern können ... künstlich, versteht sich. Wer einen Online-Artikel liest, hinterlässt nur einen Klick, das sorgt nicht für Quote.


    Was klickt? Bildergalerien, Kreuzworträtsel und Spiele. Jetzt weiß ich endlich, warum auf der Startseite von web.de täglich neue Memory-Spiele auftauchen. 15 Kartenpaare sind midestens 30
    Klicks. Oder Ratespiele: eine Frage, drei Antworten, nächste Seite. Das lässt sich fast ins Unendliche ausweiten.


    Ein Höhepunkt: 237 Gründe, Sex zu haben in der Silvesterausgabe von Sueddeutsche. de. Jede Begründung ist einen Satz lang, jeder Satz erhielt eine eigene Seite.


    Auch die Wahl des Titels schafft Klicks: Sex, Hitler, Enthüllungen jeder Art ... der Titel muss gar nicht unbedingt zum Beitrag passen, angeklickt wird er auf jeden Fall.


    Inflationär steigen die Zugriffe allerdings erst bei den sozialen Netzwerken. Hatte Spiegel Online, der Marktführer unter den deutschsprachigen Nachrichtenseiten, im Dezember 394 Mio. Klicks, kam das Studentennetz StudiVZ auf 5,3 Mrd. Hier geht es, wie bei den Stadtmenschen,
    um Selbstdarstellung, Kontakte, Diskussion. Das erfordert vom Nutzer viel Aktivität und Aktion heißt Klicks.
    Die Klicks sagen also nichts darüber, wieviele Menschen ein Portal tatsächlich nutzen. Spiegel Online hat über 4,5 Mio Unique User, StudiVZ etwa 4 Mio. Die Klicks verschaffen einem neuen Medium zunächst eine nur scheinbare Bedeutung.


    Welche Folgen hat das für den Journalismus, wenn Berichte über den Arbeitsmarkt oder Hintergrundinformationen über den Atomkonflikt im Iranfloppen, und deshalb von der Startseite verschwinden? Wenn Nachrichten unter dem Gesichtspunkt der Vermarktung ausgewählt werden,
    wird die Wirklichkeit zugunsten der Quote verzerrt.


    Gleichzeitig werden die Foren immer interessanter für die Internetwerbung. Produkte werden heute kommuniziert, nicht mehr beworben und Produktkommunikation ist ein wachsender Markt, den der Verbraucher als solchen kaum wahrnimmt. Die Werbung hat längst neue Formen
    angenommen, seit sie nur noch im Netz boomt. Es ist inzwischen durchaus üblich, dass Firmen Mitarbeiter mit verschiedenen Nicks in unterschiedliche Foren schicken, damit sie dort von ihren guten Erfahrungen in Form eines Erlebnisberichtes erzählen.


    Gerade die Werbung könnte aber dazu beitragen, dass es auch im Online-Journalismus in Zukunft nicht nur um Banalitäten geht. Denn erfolgreiche Werbung braucht einen qualitativ hochwertigen Hintergrund.
    Klingt für mich alles ein bisschen verrückt: Gerade die Werbung fordert Qualität?



    Und jetzt warte ich noch darauf, dass der Begriff es klickt sich verselbstständigt. „Tolle Handtasche, die klickt!“


    Der Beitrag entstand auf der Grundlage verschiedener Berichte der SZ und der Zeit und nach einem Gespräch mit einem Agenten für Produktkommunikation.

    Schlagworte: online-portal | quote | klicks | qualität | produktkommunikation


    P. S. Ich hab den uralt Beitrag jetzt rübergezogen, weil ich nicht weiß, was der KSTA mit seinen stadtmenschen vorhat ... ?( Eventuell ist er dann plötzlich futsch, weil ich kein Archivar bin. Fott is fott, sagt dann der Kölner ... und er meint: Was schert mich der Dress?


    Als InternetUser hängen wir aber auch immer mittendrin und merken es oft nicht. Ein Radiobericht über online-Bewertungen hat mich heute wieder daran erinnert. Jeder kann da selbst manipulieren. Daneben gibt es aber die auch von mir oben genannten "Profis", die damit geld verdienen.


    Fazit: Internetbewertungen und Rankings dienen der Vermarktung, und sonst nix :thumbdown:











  • Das ist alles eure Schuld, ihr Pimmel.



    Das Mainstreamnachrichten zu klickabhängig sind mag schon stimmen. Ich glaube auch, daß ein Teil der reißerischen Ukraineschlagzeilen extra so provozierend und polarisierend wirken, damit User sie anklicken und sich darüber das Maul zerreissen. Je weniger Zustimmung ein relevanter Artikel findet, desto mehr wird darüber diskutiert und desto mehr Klicks werden erzeugt. Man muss ja dazu sogar bedenken, daß sich Journalisten grundsätzlich nie an den Diskussionen beteiligen. Sie versuchen nicht zu schlichten, sie beantworten nie Fragen zu ihren Artikeln und reagieren auch nie auf Kritik an ihren Artikeln. Sie lassen lieber Vermutungen aufkeimen und Spekulationsblasen entstehen. Bringt mehr Geld.


    Deswegen vertaue ich auch lieber auf Journalisten, die sich unter anderem über Online-Abos oder Spenden finanzieren.

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