Wasser für die Elefanten

  • Auch der hart gesottenste Leser wird am Ende ein paar Tränchen der Rührung verdrücken. Nicht, dass das Ende dramatisch oder rührend ist, es ist so herzerfrischend anders als vieles, was auf den fast 400 Seiten und 25 Kapiteln bedrückend und traurig anmutet.


    In den 20er und 30er Jahren gab es sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten den „Zirkus auf der Bahnschiene“. Will sagen: die Zirkusleute fuhren mit ihren Familien, mit ihren Tieren und ihrem gesamten Equipment per Bahn in die einzelnen Städte, gaben eine oder ein paar Vorstellungen und reisten dann weiter. Sie hatten eigene eigens für sie eingerichtete Waggons, die je nach Status (Arbeiter, Koch, Statist, Artist) eingerichtet waren. Die Arbeiter wohnten nicht, sie hausten in dreckigen Waggons, oftmals zusammen mit den Tieren. Die Artisten konnten sich schicke mit Holz vertäfelte Waggons mit mehreren kleinen „Zimmern“ (Abteilen) leisten.


    Jakob Jankowski ist beinah der älteste Bewohner in einem Altenheim. Die täglichen Dinge fallen ihm schwer, seine Hände sind von der Gicht nur schwer gebrauchsfähig. Er sitzt im Rollstuhl, aber mit viel Anstrengung kann er sich auch mittels einer Gehhilfe fortbewegen. Es ist ein eigenwilliger, recht anstrengender alter Herr.


    Eines Tages kommt ein Zirkus in die Stadt, und fast alle Bewohner im Altenheim stehen kopf vor Aufregung. Die Verwandten, die überwiegend am Wochenende kommen, sollen die alten Menschen mit in den Zirkus nehmen. Man kann vom Ende des Flurs das Zirkuszelt sehen, und in Jakob bricht die Erinnerung an sein Leben als junger Student durch, das durch den plötzlichen Tod seiner Eltern eine ganz andere Wendung genommen hat als sein bis dahin erfolgreiches Studium der Veterinärmedizin hätte vermuten lassen.


    In äußerst geschickten „Schnitten“ gelingt es der Autorin, den Leser einerseits in die bedrückende Welt des Altenheims mit allen Querelen, Schikanen, aber auch Notwendigkeiten, freilich auch Unterdrückungen der alten Menschen und ihrer Hilflosigkeiten, zu führen.


    Hingegen sind die Sprünge in die Zirkuswelt, wenn dort gleichermaßen „Armut“ herrscht, lebendig, und man taucht ein in eine Atmosphäre, die wir vielleicht alle als Kinder erlebt haben, wenn ein kleiner Wanderzirkus in unserer Stadt oder unserem Dorf Station machte.


    Der Szenenwechsel erfolgt jeweils mit einem neuen Kapitel. Manchmal ist man noch so gefangen von der Situation des Jakob im Altenheim, dass man erst nach einer halben Seite des neuen Kapitels mitbekommt, dass nun die Schilderung des Jakob als jungem Mann im Zirkus ihren Faden aufgenommen hat.


    Der Zirkus ringt täglich um das Überleben. Oft bekommen die Arbeiter mehrere Monate kein Geld, und doch bleiben sie „ihrem“ Zirkus treu. Wo sollten sie auch sonst hin? Als eine Elefantendame – und für sie auch noch der zugehörige Eisenbahnwaggon (für Schwertransporte) angeschafft wird, stehen der versprochene Ruhm der Show und die Armut der Arbeiter und auch der übrigen Zirkusleute in krassem Gegensatz. Der Glimmer und Glanz der Aufführungen steht dem armen und kargen Leben entgegen.


    Jakobs Weg zu diesem Zirkus war ein Zufall. Und es soll ein äußerst beschwerlicher Weg werden, den er als Mitglied des Zirkus, in dem er als Tierarzt arbeiten soll, obwohl er seine Prüfungen nicht abgelegt hat, zu gehen hat.


    Natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte. Und es gibt auch Tote – Menschen und Tiere.


    Die Liebe schließlich ist es, die Jakob an dem Zirkus und seiner „Marlena“ festhalten lässt, bis sich ein neuer Weg auftut. Ein Weg auch mit der Elefantendame Rosie, die immer unterschätzt worden ist und die in Wirklichkeit „nur“ ein „Sprachproblem“ hatte, denn: Jakob findet heraus, dass sie polnische Befehle sehr gut versteht.


    Rosie ist es auch, die auf brutale, aber durchaus verständliche Weise der Tyrannei von August, ihrem „Dompteur“ ein Ende bereitet und so den Weg für Jakob und Marlena frei macht.


    Mehr darf aber hier nicht verraten werden.


    Zum Schluss kehrt der Leser mit dem 90jährigen Jakob zurück in die Einsamkeit seines Daseins im Altenheim. Jakob sitzt schließlich ganz allein in der Eingangshalle. Sein Sohn Simon hat ihn vergessen, und damit scheint der ersehnte Zirkusbesuch geplatzt.


    Aber da kennt man Jakob Jankowski doch noch nicht gut genug. Er macht sich auf den kurzen Weg, hinaus aus dem Heim, dem Zirkuszelt entgegen. Mit seiner Gehhilfe schlurft er Schritt für Schritt voran. Ihm ist bewusst, dass er vermutlich erst zur Parade am Ende der Vorstellung den Weg geschafft haben wird, aber dann….


    Das letzte Kapitel des Buches beschreibt, dass Jakobs Aufbruch aus dem Altersheim, hin zum Zirkus, mehr als ein Ausdruck seiner Willenskraft ist.


    Hier sei nur verraten, dass Jakob noch einmal zu neuem Leben erwacht. Womit man eigentlich überhaupt nicht mehr gerechnet hatte.


    Selten hat mich ein Buch von seiner Aufmachung her, sowie von seiner Sprache (hervorragende Übersetzung) und seinen eindeutigen Handlungssträngen so gepackt. Der alte Mann rührt an, und doch weckt er kein Mitleid, denn er ist gleichermaßen ein arger Querkopf.


    Viel erfährt man auch über das Zirkusleben auf der „Schiene“, über Hunger, Not, Streit, Versöhnung und über die Tatsache, dass Menschen sich auch bis zum Tod verbünden können.


    Wer das Buch zu lesen beginnt, mag es eigentlich gar nicht mehr weglegen. Und wenn man am Ende angekommen ist, ist man traurig, dass die Geschichte des eindrucksvollen Jakob Jankowski hier endet, ohne dass man weiß, wie sie wirklich endet. Nichts steht Jakob Jankowski allerdings besser als dieses offene Ende. Es entlässt den Leser nicht mit vielen Fragen, aber mit einer gehörigen Portion Sympathie für den alten Mann und mit ebensoviel Nachdenklichkeit.




    Sara Gruen: Wasser für die Elefanten


    Roman


    Aus dem Englischen von Eva Kemper


    Verlag DUMONT


    19,95 Euro


    Das Buch ist inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich.




    Das Original erschien 2006 unter dem Titel „Water for Elephants“ bei Algonquin Books of Chapel Hill

  • Das erinnerst Du richtig, aber das ist ja schon soooooo lange her.


    Ich stelle künftig hier ab und an Bücher vor, die a) lesenswert und b) verschenkenswert sind.


    Als nächstes kommt das Rote Buch - ein hübsches Geschenk für alle, die etwas mit Köln und Kölsch am Hut haben. Ich habe es Kölnern geschenkt, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in Köln oder im Rheinland wohnen - übrigens zusammen mit einer Flasche Kölsch , für das im Roten Buch letztlich geworben wird - alle waren ziemlich begeistert und versichern: Wenn ich Heimweh hab, hol ich das Rote Buch hervor. -


    Neugierig geworden?

  • Ich habe "Die Farm am Eukalyptushain" von Tamara McKinley gelesen.


    Da ging es auch um eine kleine Zirkustruppe, die in Australien von Dorf zu Dorf zog, durch Umzüge Reklame machte und sich so irgendwie über die Runden rettete. Aber dann kam das Kino auf!!!!!

  • Danke, der Tipp hat sich gelohnt!
    Ohne ihn wäre ich sicher nicht auf diesen Film aufmerksam geworden, und ganz bestimmt hätte ich auch Paulas Buchbesprechung aus dem September 2010 nicht gesehen.


    Der Film hat mir gefallen, nicht nur, weil er bis in die letzten Nebenrollen mit sorgfältig ausgewählten, überzeugenden Darstellern besetzt war. Auch die der Geschichte angepasste, altmodisch anmutende Erzählweise und Ausstattung beeindruckten und hatten viel Charme.


    Nun bin ich auf das Buch gespannt.
    Aber ich werde mir Zeit lassen, bis die Filmbilder ein bisschen verblasst sind und die eigene Phantasie
    genügend Raum gewinnen und sich bei der Buchlektüre entfalten kann.


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