Olympia geht den Bach runter

  • Dieser Tage jährt sich der Überfall palästinensischer
    Terroristen auf die Olympischen Spiele in Deutschland 1972 zum dreißigsten Mal.


    Dies war dem IOC und insbesondere Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und IOC-Vize, anscheinend nicht einmal Anlass genug zu einer Schweigeminute im Rahmen der Eröffnungsfeier. Das Thema schien zu stören.


    Ein Artikel in der Frankfurter Rundschau wirft da etwas Licht auf diese Merkwürdigkeit.



    "Offiziell hält das IOC die Eröffnungsfeier für „keinen geeigneten Anlass
    für ein Gedenken an diese tragische Tat“. Im Frühjahr, bei einer Privataudienz
    für Spitzer, war Rogge deutlicher. Ihm seien „die Hände gebunden“, zitierte die
    Witwe gegenüber mehreren Medien aus dem Gespräch – und zwar wegen der
    arabischen und muslimischen IOC-Mitglieder (wohl 17) und Staaten (46)"



    Thomas Bach brachte sogar einen Boykott arabischer Staaten ins Spiel, ruderte später jedoch wieder zurück:



    "Insofern war es irritierend, dass Thomas Bach, IOC-Vize und
    DOSB-Präsident, die arabischen IOC-Mitglieder erneut ins Spiel brachte. Ein
    „Boykott der arabischen Staaten könnte eine Auswirkung sein nach Ansicht
    vieler“, sagte Bach der Deutschen Welle. Kurz darauf ruderte er zurück. Das sei
    nicht richtig, behauptete Bach nun: „Ich habe mich im Gegensatz davon
    distanziert.“ Bach verwies auf Rogges Impromptu-Schweigen und nannte das „eine
    würdige Form“.

    Die eigentliche Frage war: Warum hat Bach überhaupt von
    einem Boykott und der angeblichen „Ansicht vieler“ gesprochen? Hört man sich um
    im IOC, so kommt als Antwort meist ein Grinsen. Es möchte niemand zitiert
    werden. „Es ist Wahlkampf, wissen Sie“, sagt einer, dem selbst Ambitionen
    nachgesagt werden. Im September 2013 wird Rogges Nachfolger gewählt. Bach galt
    bisher als aussichtsreichster Kandidat, auch wenn derzeit das Momentum für
    einen Nicht-Europäer spricht. Es sieht doch sehr danach aus, als ob der
    Deutsche mit der Boykott-Warnung seinen Wahlkampf gestartet hat, wie man es von
    ihm erwartet hat – mit einer Finte und als kühl berechnender Netzwerker: Denn
    Bach zählt, wie immer in seiner IOC-Karriere, auch 2013 auf das Stimmenpaket
    aus dem arabischen Raum."



    Auch privat verfügt Herr Bach über engste Beziehungen zum arabischen Raum.
    Er ist Vorsitzender im Aufsichtsrat der Weinig AG, die fest in kuwaitischer Hand ist.


    Richtig interessant wird es aber erst, wenn man sich die Ghorfa anschaut:



    "Denn Bach ist auch Präsident der Ghorfa, der
    Arabisch-Deutschen Vereinigung für Handel und Industrie e. V. Sie untersteht
    der Generalunion der arabischen Handelskammern. Auch deshalb sind seine
    Äußerungen zur Schweigeminute problematisch. Israel-Kritik gehört bei
    Ghorfa-Veranstaltungen zum Repertoire, wie etwa beim diesjährigen
    Wirtschaftsforum des Vereins im Berliner Ritz Carlton.

    Bachs Ghorfa profitiert kräftig von einer seit langem
    umstrittenen israelfeindlichen Maßnahme – von der sogenannten
    Vorab-Legalisierung deutscher Exporte in die Golfstaaten. Weil angeblich erst
    dann das Geschäft läuft, lassen Unternehmen bei der Ghorfa (Eigenwerbung: „Ihre
    Brücke in den arabischen Raum“) ihre Papiere abstempeln. Ein Stempel kostet 18
    Euro; er bestätigt, dass die Lieferanten keine Unternehmenstöchter in Israel
    haben und kein Teilchen ihres Produkts aus Israel stammt.
    Ghorfa-Generalsekretär Abdulaziz al-Mikhlafi teilt auf Anfrage dieser Zeitung
    mit, was die Stempelei, offiziell „Legalisierungsservice“, für 20 Länder
    einbringt: Mehr als 900000 Euro im letzten Jahr, knapp 42 Prozent
    der Einnahmen des Vereins."


    Den gesamten Artikel gibt es in der fr-online .



    In meinen Augen ist es ein Unding, dass der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes gleichzeitig Präsident einer Vereinigung ist, deren Hauptaufgabe, das Aussortieren israelischer Produkte aus dem deutschen Export in arabische Länder ist.


    Man könnte es auch Selektion nennen.


    Dass dieser Thomas Bach sich dann auch noch berufen fühlt, gegen eine Schweigeminute für die ermordeten Sportler zu sprechen, ist mehr als peinlich, ich halte das für einen Skandal. Er hätte auch den Mund halten können, Rogge war ja eh dagegen.


    Eine weitere Frage, die ich mir im Zusammenhang mit dieser Schweigeminute stelle:


    Weshalb sollten denn muslimische Staaten oder Sportler dagegen sein?
    Ich habe jedenfalls keinerlei Äußerungen gelesen, die sich gegen diese Schweigeminute ausgesprochen haben.


    Das könnte natürlich damit zusammenhängen, dass man Gefahr läuft, zu bekennen, dass man den damaligen Anschlag gutheißt.
    Oder zumindest, dass er einem egal ist.


    Dann besser gar nichts sagen und seine Büttel die Sache erledigen lassen. Es geht doch.


    Oder seh ich das zu eng?

  • Das könnte natürlich damit zusammenhängen, dass man Gefahr läuft, zu bekennen, dass man den damaligen Anschlag gutheißt.
    Oder zumindest, dass er einem egal ist.

    Spontan widerspreche ich diesem Verdacht mal. Mag sein, dass ich damit schief liege.
    Tatsache ist doch, dass es das Gedenken und die Schweigeminute am Tag vor der Eröffnungs-Show gegeben hat.


    Für mich bestärkt dieser Umgang mit dem damaligen Attentat den Eindruck, dass Nachdenklichkeit und Betroffenheit am 'Unterhaltungswert' gemessen werden und deshalb eine solche Zeremonie nicht ins Konzept einer am 'Spaß' orientierten Show passt.


    Vielleicht hat diese Trennung von Ernst und Spaß ja sogar einen Sinn, und das Gedenken erhält dadurch den Stellenwert, das ihm zukommt?

  • Für mich bestärkt dieser Umgang mit dem damaligen Attentat den Eindruck, dass Nachdenklichkeit und Betroffenheit am 'Unterhaltungswert' gemessen werden und deshalb eine solche Zeremonie nicht ins Konzept einer am 'Spaß' orientierten Show passt.

    Ja, das ist wohl so. Unbequem und eine Spaßbremse.
    Das ist bei Schweigeminuten nun mal so.

    Vielleicht hat diese Trennung von Ernst und Spaß ja sogar einen Sinn, und das Gedenken erhält dadurch den Stellenwert, das ihm zukommt?

    Das sehe ich nicht so. Das (kurze) Gedenken an dieses fürchterliche Massaker gehört in den großen Rahmen einer Eröffnungsfeier. Es hat ja damals die Welt erschüttert.
    Das muss auch nicht mittendrin, prominent plaziert sein. Eine Schweigeminute zu Beginn der Eröffnungsfeier hätte niemand gestört.


    Die abgehaltene Schweigeminute, einen Tag vorher, die keiner mitgekriegt hat, finde ich erbärmlich und peinlich.


    Dann lieber konsequent gar keine. Auch das kann man begründen. Wäre nicht meine Wahl, aber nachvollziehbar.


    Was mich jedoch anwidert, ist nicht das ja oder nein, sondern der Hintergrund der Akteure, die dies entschieden haben. Herr Bach hat beim DOSB nichts mehr verloren.


  • Zweifellos sehr bitter die rolle von Bach in dieser Angelegenheit.
    Der Anschlag 72´ war ein schlag ins Gesicht des olympischen Geistes, und
    doppelt bitter das Israelisch Juden in Deutschland die opfer waren.
    Wieder und auch Opfer von Nazis, wie sich jüngst bestätigte .


    Das England, das Ausrichterland dieser Spiele nicht interveniert oder
    selbst Initiative für eine Gedenkminute ergriffen hat,sollte aber auch zu denken geben.
    Ob es mit den kürzlichen Israelischen Feierlichkeiten zum 66. Jahrestag
    des Anschlags auf das King David Hotel zu tun hatte ??
    8)

    .
    .
    .

    Verrückte ?? Verrückte explodieren nicht wenn das Sonnenlicht sie trifft, ganz egal wie verrückt sie sind. :pinch:

  • Die Vertreter von ARD und ZDF gehörten zu den berichtenden Journalisten der Gedenkveranstaltung für die 1972 in München ermordeten israelischen Sportler.
    Dass das Gedenken einen eher "spontanen" Charakter hatte, habe ich den TV-Nachrichten nicht entnommen.
    Habe ich den Hinweis überhört oder wurde er nicht gegeben?


    Der von Tex verlinkte FR-Artikel informiert:

    Nur etwa 100 Zuhörer − Offizielle, einige Sportler und ausgewählte Reporter – waren Zeuge, als Rogge bei einer Zeremonie, die eigentlich der olympischen Waffenruhe gewidmet war, ein paar Worte für den Terrorakt fand und dann um Stille bat.
    Die Kontroverse hat das kaum befriedet.
    „Wir haben um eine Schweigeminute bei der Eröffnungszeremonie gebeten“, kommentierte Ankie Spitzer, die Frau des 1972 ermordeten Fechttrainers André Spitzer, „nicht darum, dass jemand etwas vor ein paar Dutzend Menschen murmelt.“


    Ankie Spitzer hat mit anderen Hinterbliebenen mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt für diese 60 Sekunden bei der Eröffnungsfeier vor einem TV-Publikum von rund vier Milliarden Menschen.
    Spitzenpolitiker aus aller Welt, auch US-Präsident Barack Obama und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, schlossen sich dem Begehr an.
    Bewirkt hat das nichts – außer jener PR-Aktion, die das IOC am Montag abzog.


    Diese Informationen lassen das offizielle Gedenken wirklich würdelos erscheinen.
    Danke, Tex, für deine Hinweise!

  • Deshalb habe ich unter anderem diesen Beitrag verfasst.
    Die ganze Sache ist mehr oder minder in der Versenkung gelandet und wurde nirgends mehr aufgegriffen.
    Nur bei fr-online und welt-online (da kann ich ihn nicht mehr finden) gab es einen Artikel, der auch die grenzwertigen Aktivitäten des Herrn Bach in diesem Zusammenhang beleuchtet.
    Die restlichen Medien scheint das nicht zu interessieren.
    Da der palästinensische Anschlag damals bei uns stattfand, hätte ich von den deutschen Medien eigentlich etwas mehr erwartet.


  • "Mehr erwartet" ?
    Ich habe mich nicht intensiv mit dem Thema befasst,
    aber auf dieser Service Seite von SPIEGEL-online findet man eine ganze Anzahl weiterführender Artikel und Informationen.

    Dieser hier scheint mir die Hintergründe kritisch zu beleuchten:


    22.07.2012
    Olympia-Attentat 1972
    Behörden vertuschten Ausmaß ihres Versagens




    DPA
    17 Menschen starben 1972 bei dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München - auch wegen des Fehlverhaltens deutscher Behörden. Nach Informationen des SPIEGEL haben die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung das Ausmaß ihres Versagens bis heute verheimlicht.


    Hier der ganze Artikel

  • Ja agrippi, die kenn ich.
    Das ist aber der Themenkomplex um den Anschlag selber.


    Ich hatte mit mehr Resonanz der deutschen Medien im Zusammenhang mit der Verweigerung der Gedenkminute und der Rolle von Bach gerechnet.
    Da fr-online und welt-online dies beleuchteten, ist es ja offensichtlich nicht unbekannt.


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