Du bist ja krank!

  • Sie kommt müde nach Hause. Im Büro ist der Chef unzufrieden gewesen und hat seinen Ärger an ihr ausgelassen. Dabei hat sie sich wirklich nichts vorzuwerfen. Ihm war plötzlich, als alles fertig war, eine neue Idee gekommen, die dann unter Zeitdruck umgesetzt werden musste. Er hatte nur noch gemeckert und dann war ihr irgendwann der Kragen geplatzt.


    Als sie die Wohnungstür aufschließt, fällt ihr erster Blick auf die Mülltüte. Immer dasselbe, auf Georg war einfach kein Verlass. Sie hatten die Aufgaben genau verteilt, überlegt, wer was am besten tun könnte, damit jeder von ihnen noch Freizeit hatte und auch gemeinsame Abende nicht zu kurz kamen. Hoffentlich dachte er wenigstens daran, dass sie morgen frische Champignons für das Abendessen brauchte. Aber wahrscheinlich stromerte er wieder ziellos durch den Supermarkt und brachte alles mit, worauf er gerade Hunger hatte, nur das nicht, was auf dem Zettel stand.


    Missmutig stellt sie ihre Tasche ab, sieht die Post durch und beginnt, das Abendessen vorzubereiten.
    Wenig später fällt krachend die Wohnungstür ins Schloss. Sie stürzt aus der Küche:


    Geht das nicht leiser? Du weißt doch, dass die Nachbarn sich ständig beschweren. Und kannst du nicht wenigstens einmal daran denken, morgens den Müll mit runter zu nehmen? Hoffentlich hast du wenigstens an die Champignons gedacht!


    Und kannst du nicht einmal aufhören, mich ständig mit Vorwürfen zu begrüßen? Ich hatte einen anstrengenden Tag. Die Kunden haben wieder alle verrückt gespielt.


    Ich hatte auch einen anstrengenden Tag. Mein Chef hat verrückt gespielt. Und jetzt geht der Ärger hier weiter. Halt dich wenigstens an unsere Absprachen. Das kann doch nicht zuviel verlangt sein.


    Du immer mit deinen Absprachen! Wer kam denn gestern zwei Stunden zu spät?
    Ich hab mein Tennis verpasst, bloß weil meine Schläger noch in deinem Auto lagen.


    Bin ich das etwa Schuld, wenn du deinen Krempel überall rumliegen lässt?


    Wärst du nur einmal pünktlich! Immer kommst du zu spät und meinst noch, du wärst im Recht. Deinetwegen hätten wir im Sommer fast den Flieger in die DomRep verpasst!


    Meinetwegen hätten wir den Flieger verpasst? Du spinnst doch! Du hattest doch deine Klamotten noch nicht gepackt, ich hab nur noch kurz mit Uschi telefoniert. Mit irgendjemandem muss ich ja schließlich reden. Du hörst mir nie zu. Ich hätte auf meine Mutter hören sollen, die hat das immer schon gesagt.


    Ach, deine Mutter, deine Mutter. Die telefoniert auch nur und keift ständig rum. Du bist genau wie sie.


    Lass bloß meine Mutter aus dem Spiel. Du hast sie nie gemocht, das hab ich gleich gewusst. Und ich hab mal geglaubt, dass du mich liebst. Du bist einfach nur egoistisch und herzlos, du weißt gar nicht, was Liebe ist. Du denkst immer nur an dich. Deine Kumpels und dein Auto sind dir wichtiger als ich.


    Damit stürmt sie zurück in die Küche und knallt die Tür hinter sich zu.


    "Du bist ja krank", brüllt er noch hinter ihr her, dann holt er sich genervt ein Bier und schaltet den Fernseher an. Der Abend ist gelaufen, bevor er angefangen hat.


    Verwundert fragt sich der unbeteiligte Zuschauer, was hier eigentlich passiert ist. Ging es nicht um die recht alltägliche Nebensächlichkeit, dass eine Mülltüte nicht zur verabredeten Zeit in der entsprechenden Tonne versenkt wurde? Ist das eine Katastrophe, die zur Beziehungskrise führen kann?


    Erstveröffentlichung 19. 2. 2008


  • Der Arbeiter Samariter Bund schreibt mir:


    "hiermit wollen wir Sie an Ihren halbjährlichen Testalarm an Ihrem Hausnotrufgerät erinnern, da wir Sie telefonisch nicht erreichen konnten. "




    Meine Antwort:


    Sie schreiben, Sie hätten mich telefonisch nicht erreichen können. Warum hat das bei Ihnen keinen Großalarm, ausgelöst, mit Rettungshubschrauber und so? Stellen Sie sich vor, Modem aus der Wand gerissen, ich bewusstlos daneben, und Sie machen Probealarm.
    Kann mir das einer mit einem IQ >25 erklären?




    Hiermit will ich Sie an die Landtagswahlen und Weihnachten erinnern.




    Wenn Sie wieder nüchtern sind, ... sonst müssen Sie zum Arzt gehen.

  • Das Problem sind die Totschlagargumente. Niemand übernimmt die Verantwortung für das Gespräch. Beide hauen drauf. Mit "du machst immer" verlässt man das aktuelle Problem, das sich leicht lösen ließe.


    Du bist krank ist der GAU, da geht gar nix mehr.


    Wenn du mich lieben würdest ...


    Ich glaube nicht das diese Gespräche das Problem sind. Eher ein Symptom für ein viel größeres Problem, welches in diesen Beziehungen existiert. Ein Problem von solcher Größe, daß man es sich kaum traut anzusprechen, sondern lieber über die Nebenkriegsschauplätze wie diesen Müllbeutel austrägt. Wäre man noch ernsthaft an einer Lösung interessiert, so würden ja beide Partner darüber reflektieren, warum sie sich wegen solcher Kleinigkeiten in die Wolle kriegen, obwohl sie sich ja eigentlich lieben würden, sprich sich gegenseitig unabdingbar fähig wären sich ihre Fehler zu verzeihen.


    Solche Beziehungen sind eigentlich nicht mehr zu retten, oder nur in einem Status zu erhalten wie bei meinen Eltern:
    Man hat eigentlich nichts mehr miteinander zu schaffen, keine Gefühle, keine Leidenschaft, nur noch Pöbeleien und Zwietracht. Da aber beide all ihre Freunde vergrault haben und charakterlich auch nicht mehr fähig sind im Alter noch einmal welche zu finden, bleibt eine Trennung gar keine Option. Man zieht es eher vor sich bis zum Tode auszustehen, bevor beide in absoluter Einsamkeit verenden. Ziemliche Freaks :D

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