Mein Telefon bimmelt. Blick aufs Display: Ming Mutter, die nur Kölsch spricht.
"Reinaat, du muss mir helfe. Ich hann de Motte!"
Ich antworte natürlich auch auf Kölsch, domet die Mam mich versteht.
"Wat für Motte? In d'r Buud?"
"Jo! He em Wonnzemmer! Ich kann die Biester nit su flöck kapottschlage, wie neue kumme!"
Aha. Wohnzimmer=Wohnzimmerschrank=Vorratskammer meiner Mutter. Folglich: Lebensmittelmotten.
"Häste dä Tünn (mein Halbbruder) schon ens luure losse?" Dä Tünn wohnt um die Ecke, ich am anderen Ende der Stadt.
"Jo, dä hät jeluurt, äwwer die Motte sin immer noch do." Vum Luure jon die och nit fott, denke ich mir im Stillen.
"Jut, ich kumme morje am Nommedaach met S. (mein Frauchen) vorbei."
Stundenlange Recherche im Internet, wie man Lebensmittelmotten zu Leibe rückt...
Ausdrucken der Expertentipps.
Bestellung bei Ebay mit Lieferung zu meiner Mutter: 50 Vorratsdosen für lose Lebensmittel samt Deckeln.
Pheromonfallen für die männlichen Motten.
Und schließlich Schlupfwespeneier im Dreitausenderkarton um die Eier der Motten zu infiltrieren.
Der nächste Tag. Meine Mutter öffnet mit einer elektrischen Fliegenpatsche bewaffnet die Tür. Sie sieht aus, als hätte sie das Jagdfieber gepackt. Hektische Flecken im Gesicht, seltsamer Glanz in den Augen.
Ich lege die Ausdrucke mit den Ratschlägen aus dem Computer auf den Tisch und verschaffe mir erst einmal einen Überblick. Meine Mutter hat einen Wohnzimmerschrank aus den 1950er-Jahren. Dieser Schrank verschluckt drei Rinderhälften, zwei ganze Schweine und mehrere Überseekoffer, ohne das er merklich gefüllt wäre. In diesem Schrank bewahrt meine Mutter (84) ihre bescheidenen Lebensmittelvorräte auf. Ich öffne die Schranktüren. Mir fliegen Motten um die Ohren. Meine Mutter schlägt elektrisch um sich.
Innerlich stöhne ich bei dem was ich sehe auf. Tütenweise Mehl, Zucker. Paketeweise Mondamin hell und dunkel. Sechzehn Großpackungen Toffifee ("Die wore billisch. Aachunachzisch Cent. Die sin für die Mädche en d'r Praxis.") Meine Mutter betreibt Ärztetourismus. Fest nach Plan. Von Montags bis Freitags. Los geht die Woche mit dem Mommsenbad und endet Freitags bei ihrem Lieblingszahnarzt.
Weiter geht es mit einer unübersehbar großen Menge an Nudeln in Tüten. Kartoffelpüree, Knödel, Tortenguss, Vanillezucker. Alles von Motten befallen. Schokolade, Reis, Kaffee und Salz. Kurzer Blick in meine Liste: Ja, auch an Gewürze gehen die Biester. S. und ich packen vier große Müllsäcke voll mit Lebensmitteln, die befallen sind. "Äwwer doch nit die Toffifees! Die wore doch em Sonderanjebot!" Kompromiss: Toffifee in separater Tüte in den Schrank auf dem Balkon. Quasi in Quarantäne. Unter ständiger Beobachtung. Bis jetzt clean.
Danach haben wir die Vollkonserven ausgeräumt. Von Erbsen&Möhrchen, Bohnen, Mais, Kirschen, diversen Suppen, bis hin zu Spargel, Champignons alles in mindestens zehnfacher Ausführung vorhanden! Der nächste Krieg kann kommen.
Dann meiner Mutter noch von einem Tipp berichtet, den ich gelesen hatte: "M'r sullte die Saache bevür m'r se fottschmieße für e paar Daach enfriere, domet die Eier kapott jon."
"Dat jeht nit. Dä Jefrierschrank es esu voll, dat ich die Pooz kaum zo krieje. Do pass nix mie eren."
Ich kann nur hoffen, dass es keine grönländische Unterart der Lebensmittelmotte gibt. Sonst: Halleluja!
Auf dem Heimweg haben S. und ich immer wieder mit dem Kopf geschüttelt. Mit dem, was meine Mutter gebunkert hatte, würden wir beide ein Vierteljahr überleben können...