200 Jahre Völkerschlacht

  • Diese Soldatenspielerei in Uniform führt in meinen Augen nicht dazu, "Geschichte begreifbarer" zu machen. Wir können uns heute wohl nur ansatzweise vorstellen, wie grausam eine solche Schlacht war und welche Folgen sie für die Leipziger Bevölkerung hatte.


    In Dänemark hat man in Düppel ein Geschichtszentrum errichtet, das an die Schlacht um die Düppeler Schanzen 1864 erinnert. Da wird den Schulklassen auch mal gezeigt, wie damals eine Kanone benutzt wurde. Aber diese "Action-Elemente" dienen der kritischen Einordnung. In Leipzig verkleiden sich Regierungsräte, Klempner und Buchhalter als Soldaten und machen "Piff-Paff-Puff". Da sind mir die Roten Funken sympathischer.



  • Hier geht es doch nicht um Sympathien. Ich schaue mir auch jedes Jahr gerne den Rosenmontagszug an und die roten Funken lehren uns selber etwas über die preussische Militärgeschichte Kölns. Ich würde sagen, daß dann die Nachstellung der Völkerschlacht uns allerdings immer noch mehr über die Geschichte lehrt als der Karneval.


    Man sieht dort wenigstens ansatzweise welche Uniformen und Gerätschaften man damals verwendet hat. Wie Schlachtenaufstellungen funktionierten, Formationen gebildet und in welcher Reihenfolge die einzelnen Scharmützel abliefen. Man lernt etwas über die damalige Kommunikation auf dem Schlachtfeld und das aus erster Hand, weil man selber daran mitwirkt oder wenigstens als Zuschauer daneben sitzt. Was gibt es denn schon, was ein so nahes Erlebnis bietet? Daran kommt kein Kriegsfilm und keine Historiendoku ran.


    Du argumentierst damit, daß die Darstellung idealisiert sei und nicht akkurat genug. Aber wo kriegt man schon geboten, was du forderst? So eine Nachstellung ist schon recht gut gelungen für die Möglichkeiten, die wir haben. Was besseres gibt es kaum oder garnicht :)

  • Die Roten Funken gehören nicht zur preußischen Militärgeschichte. Köln und das Rheinland wurden erst 1815 preußische Provinz.


    Die Roten Funken nehmen meines Wissens Bezug auf die Kölner Stadtsoldaten. Köln hatte wohl ein kleines Kontingent für die Reichsarmee zu stellen, die beispielsweise im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) gegen die Preußen kämpfte.


    Angeblich sollen die Kölner Soldaten in einem Gefecht mal gerufen haben: "Nicht schießen, hier stehen Leute". (Ich bin des kölschen Dialekts nicht mächtig).


    Die Geschichte hat Ludwig Sebus erzählt.

  • Nur, weil in modernen Zeiten das Ganze nicht mehr gemalt (s.o.) sondern von visuellen Medien begleitet und wie immer kommerzialisiert wird,

    Der MDR ist ja noch weitergegangen. Zumindest las ich die Ankündigung, dass es aktuelle Hinweise auf Truppenvorstöße geben sollte ... ein multimediales Ereignis. Das ist sicher "zeitgemäß" ... selbst diese Erkenntnis hat mich aber spontan nicht überzeugt.


    Gut, dass du noch mal alles für diese Aktion in die Waagschale geworfen hast. Auch für mich bleibt es schwierig, wie man sich an Geschichte erinnert ... vor allem, wie/ob sich dadurch Fehler vermeiden lassen.


    Ich kenn ja auch Ritterspiele ... und die stören mich nicht. Liegt zulange zurück, seit man sich mit der Lanze im Kettenhemd bekämpft hat??


    Was vermisst der, der sich in seiner Freizeit mit Uniformen beschäftigt? Ich weiß es einfach nicht. Ich bin da anders gepolt. Ich seh auch im Antikriegsfilm noch die Gefahr, dass man darin doch den Krieg als "die beste" Lösung erkennen könnte ...


    Zuerst Lanze und Kettenhemd, bei der Völkerschlacht hat der gesiegt, der noch Nachschub für seine Kanonen hatte ... heute braucht man Kampfdrohnen ... geändert hat sich nichts :thumbdown:


    Ich habe anlässlich des Jubiläums einige interessante Sendungen gesehen, u. a. wurden die Truppenbewegungen, sie zum "Sieg" führten, dargestellt ... als Bewegung, nicht mit Zinnsoldaten. Deutlich wurde auch, welche Gefahr der reitende Bote damals auf sich genommen hat. Er hatte großes Glück, dass er alle über den gemeinsamen Plan informieren konnte, ohne geschnappt zu werden.


    Wenn es heute um den Frieden gehen soll, hätte für mich vollkommen gereicht, dass sich 6000 Menschen der damals beteiligten Völker/Nationen die Hand reichen ... ganz ohne Uniformen "Kriegsspiel" ...

  • Die Roten Funken sind das älteste Traditionskorps im Kölner Karneval. Sie persiflieren die Stadtsoldaten.


    Die Uniformen im Karneval sind nehmen ursprünglich "auf die Schüppe". Das zeigt der TanzMajor ... besonders aber das Stippeföttchen. Da wird der Soldat zur lächerlichen Figur.


    Für mich passt das zu Köln. Den weltlichen Herrscher hat man frühzeitig nach Brühl verbannt. Da steht das Schloss.


    Mit der Kirche hat man sich arrangiert: Ich glaube an den lieben Gott ... und hab auch ganz viel Durst.


    Ok, stark vereinfacht ...

  • Die Kölsche Funke rut-wieß unterscheiden sich von den ehemaligen Kölner Stadtsoldaten nicht nur durch ihre stets sauberen weißen Hosen^^
    Ebenso wenig sind die Funkemarieche mit Marketenderinnen oder Soldatenliebchen von einst zu vergleichen.
    Ob sich die stolzen Karnevalisten der historischen Ursprünge ihres Tuns wirklich bewusst sind? Oder verselbständigt sich auch hier, wie so oft, die 'Kölsche Tradition'? Geschichtliches Wissen und 'Lerneffekt'?( - erkenne ich dabei nicht so sehr.


    Immerhin eines haben sie mit den Akteuren von Leipzig gemein:
    die Lust am Verkleiden und die Begeisterung fürs Rollenspiel, wobei mir Letzteres bei den Leipziger Regierungsräten, Klempnern und Buchhaltern ausgeprägter erscheint, verglichen mit der bekannten Kölnseligkeit und -nur so nebenbei bemerkt- Geschäftstüchtigkeit der Berufskarnevalisten.;)


    Dass historische Rollenspiele notwendigerweise dazu führen, sich mit den darzustellenden Ereignissen zu beschäftigen und sich über sie kundig zu machen, liegt für mich auf der Hand.
    Zudem sind hierbei eher selten professionelle, bezahlte Schauspieler aktiv, also gehe ich davon aus, dass die Akteure aus ihrem persönlichen Interesse an Geschichte/Historie handeln und ihre Begeisterung ggf. andere 'ansteckt'. Um Kriegsverherrlichung ist es offenbar nicht gegangen.


    Wie gesagt - für mich nicht der schlechteste Umgang mit (unserer) Vergangenheit.


    Zitat

    Was vermisst der, der sich in seiner Freizeit mit Uniformen beschäftigt?

    ???
    Was vermisst ein Musiker, der historische Instrumente spielt und sich auf die sogenannte 'Alte Musik' spezialisiert?
    Was vermisst ein Sammler alter Uhren, ein Philatelist, ein Historiker, ein Archäologe?

    Muss man etwas 'vermissen', wenn man sich mit Vergangenheit -beispielsweise historischer Kleidung- beschäftigt?
    ?(


    Zitat

    Wenn es heute um den Frieden gehen soll, hätte für mich vollkommen gereicht, dass sich 6000 Menschen der damals beteiligten Völker/Nationen die Hand reichen ... ganz ohne Uniformen "Kriegsspiel" ...

    Jo. Das gibts ja schon, meist in kleinerem Rahmen und ist -eben weil es so 'unhistorisch' modern rüberkommt- eine allzeit angebrachte und damit leider auch austauschbare Geste.
    Weiß Jemand, ob's bei der Feier eventuell genau diese 'Versöhnungsgeste' auch gegeben hat?



  • Na gut, die Roten Funken mögen nicht der preussischen Armee entsprechen. Wir haben aber auch noch mehr Funken und Garden in Kölle. Irgendeine wird da auch die Preussen parodieren, mein ich :)


    Letztendlich ist ja auch egal, ob es die Preussen sind. Es ist eine Parodie aufs Soldatentum. Darum gings mir.


    Was vermisst der, der sich in seiner Freizeit mit Uniformen beschäftigt? Ich weiß es einfach nicht. Ich bin da anders gepolt. Ich seh auch im Antikriegsfilm noch die Gefahr, dass man darin doch den Krieg als "die beste" Lösung erkennen könnte ...

    Einer Frau ist das immer schwer zu erklären. Es sind natürlich ausschließlich Männer, die eine Begeisterung für Militarismus sämtlicher Zeiten und Farben haben. Das hat etwas mit unserem Gewalttrieb zu tuen. Kriegsspiele, Actionfilme, MMA...all das sind Ersatzbefriedigungen für unseren natürlichen Jagdtrieb. Dieser Trieb steckt immer noch in uns. Wir brauchen Gewalt um befriedigt zu werden. Zum Überleben wird dieser Trieb nicht mehr verlangt. Die Welt ist sicher und das Fleisch gibts im Supermarkt. In unserer zivilisierten Gesellschaft ist dieser Trieb sogar kontraproduktiv. Also was tuen, wenn ihn nicht über solche Beschäftigungen ausleben?


    Zwar ist Reenactment nicht sonderlich gewalttätig, aber der dort dargestellte Militarismus alter Schule ist nunmal faszinierend. Es mag natürlich auch vereinzelt Frauen geben, die so etwas reizvoll finden. Und der schöne Nebeneffekt ist eben, daß man auch etwas über Geschichte lernt. Wie ich schon zu Anfang sagte: Spaß + Lernen = Gewinn :)

  • Weiß Jemand, ob's bei der Feier eventuell genau diese 'Versöhnungsgeste' auch gegeben hat?

    Das hoffe ich doch sehr! Medienberichten zufolge hat es die gegeben. Also nicht alles Schall und Rauch ... aber unterschiedliche Befindlichkeiten ...


    Für mich ist es ein Unterschied, ob man sich mit historischen Texten, historischen Instrumenten ... oder Uniformen beschäftigt.


    @Heinz
    Wahrscheinlich sehe ich ich die Welt anders, weil ich weiblich bin. Ich denke allerdings, dass männliche und weibliche Weltsicht sich ergänzen sollten und könnten ... zumal männliche und weibliche Eigenschaften gar nicht immer so eindeutig auf Männlein und Weiblein verteilt sind. Gemeinsam könnten wir verdammt stark sein, stattdessen verpulvern wir immer wieder Energie :thumbdown:


    Ich befürchte allerdings, dass der Geschlechterkampf jeden anderen Krieg noch überleben wird :(


    Zum Thema Völkerschlacht bin ich beim Surfen im Netz durchaus auf positive Kommentare gestoßen. Da fehlte allerdings meist eine Begründung. An folgendem Kommentar bin ich "hängengeblieben":


    Vielleicht kommt als nächstes das Nachstellen der Schlacht von VERDUN (2016
    100. Jahrestag) ???


    Ich denke, dass diese Summen um Schlachten nach zu empfinden und nachzustellen in Richtung Südeuropa zur Lösung afrikanischer Probleme sicherlich nutzbringender hätten verwendet werden können und müssten.


    Es wurde bisher nur unter dem Mantel der Historie etwas darüber geäußert, wem das Abschlachten von Soldaten einen Gewinn oder Nutzen bringt.
    Schnell werden ethische Gründe erbracht wie glorreiche Verteidigung des Vaterlandes, Ruhm und Ehre, Gerechtigkeit, Freiheit ect.


    Napoleon hatte in vielen Ländern Europas gewütet bis hin nach Moskau, was 1818 im Flammen aufging, um Napoleon zu vertreiben. In Frankreich und vor allem in Paris im Pantheon und im Arc de Triomphe wird er als Vaterlandsheld nach wie vor gefeiert.
    Welche Ironie in der Historie.


    Die afrikanischen Bootspeople - ach es waren doch nur ca. 300 was ist die Zahl gegen fast 100.000 Toten nach der Völkerschlacht oder gar Verdun????


    170.000 französische und 150.000 deutsche Soldaten kamen während der knapp ein Jahr währenden Schlacht - Februar bis zum Dezember 1916 - bei VERDUN ums Leben.


    Für Stalingrad haben wir dann noch Zeitreserven (Juli 2042 bis Feb. 2043 wäre der 100. Jahrestag und die Zahl der Toten wird mit über 500.000 beziffert) - um dieses sinnlose Abschlachten zu glorifizieren.


    Setzen wir dem Ganzen noch eines Darauf - Hexenverbrennungen und andere Foltermethoden, die im Mittelalter probat waren, aber hier sollte doch wirklich das Verständnis über das Töten von Menschen weder eine Nachahmung oder gar Glorifizierung erfahren.


    Über die Bootspeople-Flüchtlinge ein Riesengeschrei in der Presse - nun aber ist wieder Ruhe - es betrifft uns doch gar nicht hier in Sa.- Anhalt oder gar in Halle. Ja, natürlich nimmt unser Land auch afrikanische Flüchtlinge auf.
    Hauptsache wir verhalten uns so, als ob wir Mitleid hätten und es in der Presse zeigen!!!

  • escape, da kann ich dir nur zustimmen: Ich frage mich auch manchmal, was eigentlich an bestimmten Verhaltensweisen weiblich oder männlich ist.


    Die Beschäftigung mit Uniformen und Krieg scheint aber etwas speziell männliches zu sein. Das wurde früher noch dadurch gefördert, dass man als junger Mann zur Bundeswehr musste (es sei denn, man verweigerte den Kriegsdienst).


    Ich bin Jahrgang 1961. Meine Lehrer an der Realschule zwischen 1971 und 1978 waren fast alle "kriegsgedient". Sie waren von diesem fürchterlichen Zweiten Weltkrieg und meist auch von der Gefangenschaft geprägt worden. Bei denen musste man ein "ganzer Mann" sein; wer auf dem Schulhof Prügel bekam, hätte sich bei denen nicht beschwert, es sei denn, es wäre zu ernsthaften Verletzungen gekommen. Aber ich weiß nicht, was die zu dieser Soldatenspielerei gesagt hätten.


    Auf dem Aufbaugymnasium gab es dagegen zwischen 1979 und 1982 fast einen von der Jung-Lehrerschaft verordneten Pazifismus. Der Wehrdienstberater verzichtet auf den Besuch an unserer Schule.

  • Vor 200 Jahren sind bei Leipzig etwa 100.000 Menschen gestorben, man könnte auch sagen, sie haben sich gegenseitig abgeschlachtet. Der "Rest der Welt" gegen Napoleon im Sinne der Freiheit.


    Das war keine Schlacht für die Freiheit der Menschen; es ging um die Vorherrschaft in Europa.

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