Zur Leipziger Ostermesse 1808, heute vor 200 Jahren, wurde Goethes Faust veröffentlicht ... darin sein Osterspaziergang, mit dem er zum Klassiker wurde.
Der alte Winter in seiner Schwäche
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes:
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier:
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Ist da der Frühling Sprache geworden, oder die Sprache zum Frühling? Der Winter wird zum alten Mann, die Menschen werden zum bunten Wiesenschmuck. Daraus spricht Abstand und Übersicht.
Eine wiederkehrende menschliche Erfahrung wird verallgmeinert. Es ist Ostern, ein kirchliches Fest, die Auferstehung des Herrn wird gefeiert, aber dahinter wird etwas Natürlich-Menschliches sichtbar:
Kehre dich um, von diesen Höhen,
Nach der Stadt zurückzusehen!
Aus dem hohlen, finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn;
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus Handwerks- und Gewerbebanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straße quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Leben gebracht!
Hier spricht ein Zweifler, hinter dem Dogma erscheint eine neue Wahrheit, eine Naturwahrheit, das wiederkehrende Kirchenjahr verschmilzt mit dem Naturkreislauf.
Erstveröffentlichung 23. 03. 2008
Diesem Beitrag liegt ein Artikel der SZ zugrunde.