Der Osterspaziergang?

  • Zur Leipziger Ostermesse 1808, heute vor 200 Jahren, wurde Goethes Faust veröffentlicht ... darin sein Osterspaziergang, mit dem er zum Klassiker wurde.



    Der alte Winter in seiner Schwäche
    Zog sich in rauhe Berge zurück.
    Von dorther sendet er, fliehend, nur
    Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
    In Streifen über die grünende Flur;
    Aber die Sonne duldet kein Weißes:
    Überall regt sich Bildung und Streben,
    Alles will sie mit Farben beleben;
    Doch an Blumen fehlt's im Revier:
    Sie nimmt geputzte Menschen dafür.



    Ist da der Frühling Sprache geworden, oder die Sprache zum Frühling? Der Winter wird zum alten Mann, die Menschen werden zum bunten Wiesenschmuck. Daraus spricht Abstand und Übersicht.


    Eine wiederkehrende menschliche Erfahrung wird verallgmeinert. Es ist Ostern, ein kirchliches Fest, die Auferstehung des Herrn wird gefeiert, aber dahinter wird etwas Natürlich-Menschliches sichtbar:



    Kehre dich um, von diesen Höhen,
    Nach der Stadt zurückzusehen!
    Aus dem hohlen, finstern Tor
    Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
    Jeder sonnt sich heute so gern.
    Sie feiern die Auferstehung des Herrn;
    Denn sie sind selber auferstanden:
    Aus Handwerks- und Gewerbebanden,
    Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
    Aus der Straße quetschender Enge,
    Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
    Sind sie alle ans Leben
    gebracht!



    Hier spricht ein Zweifler, hinter dem Dogma erscheint eine neue Wahrheit, eine Naturwahrheit, das wiederkehrende Kirchenjahr verschmilzt mit dem Naturkreislauf.


    Erstveröffentlichung 23. 03. 2008





    Diesem Beitrag liegt ein Artikel der SZ zugrunde.

  • Auch österliche Gedanken, wie ich finde, durchaus lohnend, sich damit zu befassen
    Leute, die in jungen Jahren von Kathecheten gequält wurden, neigen dazu, sich von Religion ganz abzuwenden.
    Sie meinen, dass jede Religion zu Absolutismus, Despotie und mindestens Intoleranz neige, und glauben nicht, dass die Untergebenen unser zugehörigen Religion davon verschont bleiben sollen.
    Hieraus ergeben sich eine Antithese und eine Frage. Die Antithese ist die Anregung zu bedenken: Zu jedem Wert, den der heutige Mensch als achtenswert ansieht, gibt es eine christliche Beschreibung. Es gibt zwar noch mehr Beschreibungen aus der Kirchlichkeit und der Kirchengeschichte für Angelegenheiten, die wir nicht als unbestreitbare Werte ansehen, doch sogar darüber könnte man mit dem Papst oder anderen Theologen zivilisiert debattieren.
    Das Recht, aus biologischen Gründen nicht an die Auferstehung zu glauben, weil die natürliche Auslese Wesen bevorzugt hätte, die zu solcher Anpassungsleistung fähig wären, dieses Recht hätten Grundgesetz und Verfassungsgericht nicht gewährleisten können ohne die Tradition aus Christentum und Aufklärung.
    Die Frage, die sich anhand der Auffassung, das jede Religion zum Bösen fähig sei, geradezu aufdrängt, ist die: Hätte es dann nicht geschehen können, dass eine Religion entsteht, die sich allein dem Garstigen verschreibt, die sozusagen die düstere Seite zu ihrem Inhalt erhebt und die eigentlich eine Religionsneurose wäre?
    Es halten sich doch immer wieder Verrückte für den Messias, könnte nicht einer davon tatsächlich genügend Anhänger gewinnen, um zu einem Führer zu werden, der seine Legitimität mit einer Offenbarung begründet? Er müsste die Religion aus dem Spirituellen herausholen und ins Weltliche verlegen, er müsste den absoluten Machtanspruch erheben, dafür reiche Beute versprechen und selbstverständlich predigen, die einzig wahre Religion zu verkünden.
    Alles andere ist Unglaube und führt in die Hölle. Ein solches Gedankensystem wäre egoistisch, das heißt, es hat sich selbst zum Inhalt und verlangt den Glauben an den wahren Glauben selbst, doch seine Anhänger dürften vor lauter Vorschriften, die es zu befolgen gilt, nicht zum Nachdenken kommen, außerdem kann man den Mangel an Gläubigkeit, den es notwendigerweise gäbe, durch Vehemenz und Missionseifer überspielen. Diese Religion würde dort anknüpfen, wo andere Religionen zum Machterhalt eingesetzt werden, und so schon als Staatsreligion zur Welt kommen.
    Doch so was ist nicht vorgekommen. Und warum nicht? Weil wir so tolerant sind.?!
    Oder einfach zu bequem geworden ?!

  • Würde man den Konfuzianismus zB nicht als so etwas beschreiben können?


    Unsere Werte werden nicht alle durch das Christentum beschrieben, aber sie lassen sich sicher insoweit zusammenfassen, daß sie in allen möglichen metaphysischen Erklärungsmodellen einmal vorkamen. Christentum, Judentum, irgendwelche Naturreligionen, Horrorfilme, die Angst vor Unwettern, Gespenstern... jeder Idealismus, ja selbst der Atheismus und der Materialismus basiert auf irgendwelchen metaphysischen Prämissen. Man kann als Mensch nur wissen was gut und schlecht, richtig und falsch, wenn man dazu Axiome kennt, die man als wahrhaftig ansieht. Die Wahrheit ist das eigentliche Problem, denn für einen Menschen ist es nicht möglich so etwas universell zu verifizieren. Nicht Religionen alleine führen dazu andersartige Religionen zu bekämpfen. Es ist nur der reine Gedanke von einer Wahrheit überzeugt zu sein, der dazu führt eine andere Wahrheit zu vernichten, denn was für einen selbst als wahr gilt kann sich nicht mit einer anderen Wahrheit vertragen. Andere Wahrheiten leugnen notgedrungen die eigenen Wahrheiten.


    Sollte uns mal wieder ein sogenannter Messias erscheinen, so ein Sohn Gottes der tatsächlich vor unseren Augen Wunden heilen kann und von den Toten wiederaufersteht, so ist das noch lange kein Grund seinem Reden auch Glauben zu schenken. Denn selbst wenn er sogar physisch unsterblich sein sollte, womöglich somit tatsächlich ein höheres Wesen als der Mensch ist, so schließt das noch lange nicht aus, daß dieser Typ trotzdem ein Lügner ist. Er ist entweder nicht allwissend und redet deswegen unbewusst Unsinn (wie sollen wir auch Allwissenheit bei einer Entität verifizieren, wenn wir für uns selbst nicht einmal Wahrheit verifizieren können?) oder er ist zwar mächtiger als wir, aber eben nicht allmächtig und strebt deswegen danach uns zu kontrollieren, um durch unsere Abhängigkeit seine Macht zu steigern.


    Man hüte sich vor der Wahrheit :)

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