Alles Schund?

  • Im Kampf gegen das Abscheuliche


    Erstellt 01.01.11, 11:39h, aktualisiert 02.01.11, 09:02h


    Der 46-jährige Germanist, Journalist und Literaturexperte Denis Scheck spricht im KStA-Interview mit Helmut Frangenberg und Stefan Worring über Schönheit, alten Fisch, Revolution und die „Desaster-Zone Köln“.











    Vor dem Weihnachtsbaum im Foyer des Deutschlandfunks: Feinschmecker und Weltverbesserer Denis Scheck. (Bild: Worring)








    Vor dem Weihnachtsbaum im Foyer des Deutschlandfunks: Feinschmecker und Weltverbesserer Denis Scheck. (Bild: Worring)Der Germanist, „Master of arts“ und Rundfunkredakteur residiert in einem Büro in der 14. Etage des Deutschlandfunk-Hochhauses am Raderberggürtel - mit Regalen voller Bücher.
    Kann man Ihnen noch Bücher schenken?


    DENIS SCHECK: Wenn es die richtigen sind, aber immer.


    Ein Literaturkritiker wird mit Büchern überschüttet. Wie muss es bei Ihnen zuhause aussehen?


    SCHECK: Ich muss immer wieder ausmisten, sonst werde ich die neue Landesbibliothek. Ich muss auf 120 Quadratmetern mit einer Lebensgefährtin, einem kleinen Hund und meinen Büchern leben. Mehr als 5000 dürfen es nicht werden.


    Haben Sie die alle gelesen?


    SCHECK: Um Gottes Willen. Ich bin kein Narzisst, der sich im Spiegel seiner Lektüren betrachten möchte. Mehr als 4000 Bücher kann man in einem Leben nicht lesen. Die Bücher, die ich zuhause habe, sind die, die ich noch lesen möchte.


    Gibt es Bücher, die das Ausmisten überleben?


    SCHECK: Extrem gefährdet sind viele Bücher, die mir auf den Bestsellerlisten begegnen. Allerdings habe ich auch ein Regal, das meine Freundin und ich zärtlich unser Dooferl-Regal nennen. Da bewahren wir exemplarisch besonders misslungene Bücher auf. Da überlebt auch mancher Bestseller.


    Scheck zeigt ein Beispiel, das es ins „Dooferl-Regal“ schaffen könnte: „Zu Gast bei prominenten Hunden“. Auch Ratgeber wie Susanne Fröhlichs „Moppel-Ich“ oder „Schlank im Schlaf“ hätten Chancen.


    Warum lesen die Deutschen so viel Schund?


    SCHECK: Die Bestsellerlisten sind ein Spiegel der Gesellschaft. Warum sollten in einem Land, in dem es so schlechte Würste gibt, bessere Bücher mehr Erfolg haben? Oder schauen Sie sich an, wie sich Menschen freiwillig mit einem Willen zur Hässlichkeit kleiden. Gehen Sie durch Teile der Desasterzone namens Köln und versuchen Sie, nicht aus ästhetischen Gründen zu erblinden.


    Aber es gibt doch Alternativen: Warum wollen die Leute denn nichts Besseres?


    SCHECK: Das ist eine philosophische Frage. Man kann auch fragen: Warum werden wir nicht besser regiert? Warum werden wir nicht bessere Menschen? Das sind unglaublich politische Fragen, die - wenn man sie ernst nimmt - in den bewaffneten Straßenkampf führen können.


    Und wer kämpft da gegen wen?


    SCHECK: Es ist der alte Kampf des Gemeinen, Abscheulichen und Hässlichen gegen das Ehrliche, Wahre und Schöne.


    Aber es scheint im Augenblick doch eher so, dass sich diejenigen, die sich wehren müssten, gar nicht wehren wollen und mit dem Schlechten oder dem Mittelmaß zufrieden geben, oder?


    SCHECK: Ich wehre mich, so lange ich kann und versuche, den Glauben an das Schöne zu bewahren.


    Aber Sie alleine machen keine Revolution. Braucht man keine Masse für Veränderungen?


    SCHECK: Bin ich Ihnen nicht dick genug? Hey, ich bin Don Quichotte! Wo sind die Windmühlen? Los geht's! Ich glaube weiterhin an den gesellschaftlichen Fortschritt. Ich glaube sogar an den ästhetischen Fortschritt. Er hat allerdings die Geschwindigkeit einer Schnecke.


    Ihr Beitrag in diesem Kampf ist von der ARD in die Nacht verdammt worden. Rund 530.000 Zuschauer sehen „Druckfrisch“. Da findet man wenig neue Mitstreiter für das Schöne.


    SCHECK: Das sind zehn ausverkaufte Fußballstadien. Die gucken einem glatzköpfigen, übergewichtigen Herrn mit abstehenden Ohren zu, der neue Bücher in die Kamera hält. Das ist doch nicht schlecht. Was glauben Sie denn, wie viele Menschen sich für neue Literatur interessieren? Wenn es zehn Millionen wären, würden wir in einem anderen Land leben.


    Muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass man für Veränderungen Mehrheiten braucht?


    SCHECK: Die braucht man für politische Veränderungen in einer Demokratie, dem besten politischen System, das ich kenne. Aber in der Kunst ist Demokratie furchtbar. Die schrecklichsten ästhetischen Entscheidungen sind Mehrheitsentscheidungen. In der Kunst zählt Schönheit und das Argument. Dagegen sind Debatten über Dosenpfand und Mehrwertsteuer banal.


    Aber diese politischen Debatten entscheiden über unsere Zukunft.


    SCHECK: Nein. Dosenpfand und Mehrwertsteuer hat mit meiner Zukunft ganz wenig zu tun. Diese Themen sind Scheinriesen, von der Politik dazu gemacht.


    Worum müsste es gehen?


    SCHECK: Wir müssen Bewusstsein schaffen, den Willen zur Mündigkeit stärken. Ich wünsche mir Menschen, die nachfragen: Wo kommt der Salat her, den du mir auf den Teller legst? Wie entsteht ein Buch? Fragen Sie einen Förster danach, worauf man beim Weihnachtsbaumkauf oder dem Erwerb eines Adventskranzes achten soll. Danach werden Sie für den Rest ihres Lebens völlig anders Adventskränze und Weihnachtsbäume anschauen.


    Auf der Lit.Cologne haben Sie das Publikum Kutteln - also Pansen - essen lassen. Freiwillig hätten das die wenigsten mitgemacht. War das auch ein Beitrag zur Bewusstseinsbildung?


    SCHECK: Sicher. Warum isst man ein Filetsteak, aber vom selben Tier keine Innereien?


    Woran liegt das?


    SCHECK: Die Ausweitung der Ekelzone hat etwas zu tun mit der Entfremdung von der Natur, dem Nicht-Wahrhabenwollens, dass Fleisch nur um den Preis des Todes eines Tieres existiert. Das halte ich für eine ungute Entwicklung. Jeder, der etwas von Fleisch versteht, kommt auf die Idee, dass es gut wäre, weniger Fleisch zu essen. Da kommen wir zurück zu unserem Thema Aufklärung. Man muss Fragen stellen. Woher kommt etwas? Warum esse ich das eine, aber das andere nicht? Warum dieses wunderbare „Himmel un Ääd“, aber keine Kuttelsuppe, obwohl sie ein Vergnügen sein kann? Da sind wir wieder beim Lebenszusammenhang: Jemand, der wissen will, wie verhält sich das mit der Kuttelsuppe, der ist auch ein guter Leser von Shakespeare oder Donald Duck.


    An einer Bürowand hängen zwei vergrößerte Seiten eines Donald Duck Comics. Der Literaturwissenschaftler ist ein Comic-Fan.


    SCHECK: Wissen Sie, dass ich eine Spielwarenhandlung in Entenhausen besitze? Die Übersetzerin der Donald Duck Comics, Erika Fuchs, hat mich jeden Tag im Deutschlandfunk gehört und gemocht, was ich da mache. Irgendwann bekam ich mal einen Band in die Hände, wo Donald in die Spielwarenhandlung „Scheck“ geht, mit dem wunderbaren Satz auf den Lippen: „Mal sehen, was der gute Scheck mal wieder auf Lager hat.“ Das ist die größte Unsterblichkeit, die ich mir wünschen konnte.


    Der Blick aus dem Bürofenster des Radioredakteurs und Fernsehmoderators über Köln ist gigantisch. Scheck mag die Menschen, die in Köln wohnen. Fast alles andere müsse weg.


    SCHECK: Ich würde mir wünschen, dass es mehr Menschen gibt, die sagen: „Ich finde diese Stadt sehr hässlich. Könnten wir mal damit anfangen, sie schöner zu machen?“ Nehmen Sie die Rheinuferstraße. Da führt eine Autobahn am Rhein entlang. Da müssen breite Ramblas hin, ein Vergnügungspark, eine kleine platonische Akademie.


    Sie wohnen am Chlodwigplatz. Da wird doch jetzt alles schöner.


    SCHECK: Gestern standen wir vor einem großen Abgrund. Jetzt treten wir einen Schritt nach vorne.


    Aber da wird mit viel Geld alles hübsch gemacht. Wie können Sie sagen, dass es hässlicher wird?


    SCHECK: In meinen Augen wird die Neugestaltung der historischen Bedeutung des Platzes nicht gerecht. Es gibt so viele tolle Architekten. Da können Sie mir doch nicht erzählen, dass das, was da jetzt stattfindet, die Antwort des 21. Jahrhunderts auf die architektonische Herausforderung einer Platzgestaltung ist. Die Severinstraße lassen sie vor die Hunde gehen. Wo ist da die Stadtplanung, die dafür sorgt, dass auch mal wieder ein Schneider statt der dritten Billigbäckerei oder der fünften Döner-Bude in ein Geschäft einzieht?


    Wichtiger als ein Straßenpflaster ist also, was in den Straßen und Häusern geschieht?


    SCHECK: Die Römer haben am Chlodwigplatz Austern gegessen. Und ich bin mir ganz sicher, dass sie frischere Austern bekommen haben als ich heute in den meisten Fischgeschäften dieser Stadt. Fisch ist ein großes Problem von Köln. Sie können am Fischhandel dieser Stadt das ganze korrupte Elend klar machen. Wir brauchen Menschen, die in diese Fischhandlungen hineingehen und protestieren. Ich will einen frischen Fisch!


    Gibt es Zeichen der Hoffnung in der Stadt, die Sie so hässlich finden?


    SCHECK: Das Hoffnungsvollste, das mir 2010 begegnete, ist das „Guerilla-Gardening“: Leute kultivieren Beete, Brachflächen und Kreisel. Das ist schön. Weniger schön sind dagegen die organisierten Geiselnahmen. Beim Karneval habe ich noch Verständnis, weil er historisch gewachsen ist. Für einen Marathon durch die Innenstadt habe ich überhaupt kein Verständnis. Ich warte auf das erste Formel 1 Rennen durch die Stadt.


    Würde es helfen, wenn wir mehr gute Bücher lesen?


    SCHECK: Natürlich.


    Und wie bringen wir die Menschen dazu?


    SCHECK: Der Ball liegt im Feld der Frauen. Wenn unsere Frauen morgen sagen: Ich möchte nicht mehr mit so langweiligen Idioten zusammen leben. Ich möchte nicht mit Menschen zusammen leben, die nichts lesen. Dann wird eine Revolution durch das Land gehen: Männer werden die Buchhandlungen stürmen. Ich glaube, dass wahnsinnig viel Leid zu verhindern wäre, wenn Menschen mehr darauf achten würden, was auf den Nachtschränkchen ihrer Geliebten liegt.
    Das Gespräch führten Helmut Frangenberg und Stefan Worring




    Zur Person: Denis Scheck


    Interview: „Diese Menschen haben mich berührt“


    Angela Roters: „Auf irgendeine Weise bin ich gläubig“






    Leserkommentare zum Artikel [20]

  • Ein anregendes Interview.


    Und für mich immer wieder interessant, dass die Männer Hilfe von den Frauen erwarten ... oder soll ich besser sagen: jeder immer vom anderen? Wenn der andere anders wär, wär alles besser? Da bin ich ja fein raus.

  • Dazu passt m.E. hervorragend der Artikel "Tagesschau? Ü-60-Fernsehen!" der Jungredakteurin Claire Devlin (18 ) vom Wochenende vor Weihnachten.


    "Warum guckst du nicht mal was Anständiges?" Wenn um 20 Uhr die Tagesschau und damit der unerbittliche Kampf um die Fernbedienung beginnt, sehe ich Mamas Argumene Bildungsfernsehen, politisches Interesse, Allgemeinbildung förmlich vor mir. Sie verrmisst High-Tech-Animatione, attraktivere Moderatoren, Spannung.


    Dann doch lieber die zur Verblödung beitragenden Daily Soaps, die wenigstens gut unterhalten.

  • Ich habe den Beitrag verpasst, wurde aber jetzt darauf hingewiesen, dass er in der Printausgabe heftig diskutiert wird. Kann ja nicht so ganz verkehrt sein, auch auf die Jungen zu hören. Die ÖffentlichRechtlichen kämpfen ja damit, dass sie zu RentnerSendern geworden sind.


    Mal schaun, ob ich noch an den Artikel drankomme.

  • Etwas ahle Krom. Ich war ja auch mal jung.


    Wenn ich Semesterferien hatte, habe ich zu Hause das einizige Radio (nicht mehr Volksempfänger, sondern ein richtiges) beschlagnahmt. Aber wenn "Zwischen Rhein und Weser!" begann, war Schlussl Darauf bestand meine Mutter.


    Ich hörte hach Ansicht meines Vaters Hebabiba. Von Armstrong bis Valente.

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