Die Communitá Sant`Egidio in Rom

  • 1. Von den Anfängen und meiner ersten Begegnung


    Als im Jahr 1968 sich eine Gruppe römischer Schüler kurz nach ihrem Abitur die Frage stellte, wie es nun weiter gehen würde, konnte niemand absehen, dass in der Antwort etwas großes und entwicklungsfähiges lag, dessen Dimension im Nachhinein betrachtet nahezu unfassbar ist. Unfassbar schön.


    Die Schüler des katholischen Gymnasiums waren schon früh zu Solidarität und Mitmenschlichkeit erzogen worden, ja, zum Teil auch im christlichen Sinne. So galt ihre Frage vor allem dem Thema: wie kann man denn seinen Glauben wirklich leben? Und da waren sie ganz schnell…nein: nicht in der Kirche und beim Beten, sondern bei den so genannten Armen und Bedürftigen.


    Das waren die Kinder, die in den Vororten Roms in schlechten Unterkünften lebten und keine Schulbildung genossen. Das waren die Alten im damals noch nicht so hippen kleinen Stadtteil Trastevere, deren Rente hinten und vorne nicht reichte, weder für eine warme Mahlzeit am Tag noch für die notwendige Arztbehandlung.


    Die Schüler begannen großenteils ein Studium, und in ihrer Freizeit kümmerten sie sich um Nachhilfe für die Kinder und Unterstützung der Alten.


    Schnell erkannten sie, dass dies koordiniert werden musste und dass die Arbeit mit den „Bedürftigen“ sie auch sehr in Anspruch nahm: physisch UND psychisch. Man traf sich bald täglich am Abend in der kleinen Kirche S. Egidio – ganz in der Nähe der großen Basilika Santa Maria in Trastevere – zu Austausch und schließlich auch zum gemeinsamen Abendgebet.


    Die Gemeinschaft wuchs, und mit ihr wuchs die Zuversicht, auf dem richtigen Weg zu sein. Die ersten beendeten ihr Studium und gingen in den Beruf. Sie vergaßen aber „ihre“ Gemeinschaft nicht, sondern engagierten sich in ihrem jeweiligen Beruf weiter für die ihnen ans Herz gewachsenen „poveri“: der Arzt behandelte kostenlos, der Rechtsanwalt unterstützte, wo es nötig war, der Lehrer schuf Lerngruppen und die Krankenschwester ging zu den Alten, um sie zu unterstützen.


    Irgendwann entstand ein Altenheim, betrieben von der „Communitá di San Egidio“. Diese Communitá wuchs und wuchs. Der harte Kern der Communitá hatte längst auch erkannt, wie wichtig die Bindung an diese Laiengemeinschaft ist. Man gab – freiwillig – ein Versprechen der Gemeinschaft gegenüber ab.


    Heute gehören dieser Gemeinschaft nicht mehr nur in Rom, sondern in aller Welt, mehrere Zehntausend Menschen an, und ihre Ziele haben sich nicht verändert, sondern erweitert. Ein wichtiges Ziel heißt FRIEDE, aber soll an anderer Stelle erläutert werden.


    Ich habe die Gemeinschaft kennengelernt, als sie sich zum letzten Mal in San Egidio zum Abendgebet trafen. Es gibt eigene Gesänge und hervorragende Stimmen, die jeden Gottesdienst und jedes Abendgebet dort zum Erlebnis werden lassen. Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal dort war, herrschte in der kleinen Kirche eine drangvolle Enge. Ich war überwältigt von der Ernsthaftigkeit, mit der man hier zusammen saß, und es waren überwiegend junge Menschen, die hier beisammen waren. Man mag an die Gemeinschaft von Taizé erinnert sein, und doch war es hier anders. Kurz vor Beginn des Abendgebetes öffneten sich nämlich Seitentüren, und weitere Menschen strömten aus dem Kreuzgang in die Kirche. Das waren die, die eben Nachhilfe oder eine warme Mahlzeit erhalten hatten.


    Am Ende des kurzen Abendgebets stand für Interessierte jemand zur Verfügung, der Fragen zur Gemeinschaft erläuterte. Man könne auch für ein, zwei Tage, mitarbeiten bei der Communitá, erfuhr ich. Ich lernte Cecilia kennen. Cecilia war mit ihrem Mann zusammen bei der Communitá, und da sie einen Studienplatz im Goethe-Institut ergattert hatte, wo sie Deutsch studierte, ergänzten wir beide uns sehr gut und tauschten uns mal auf Deutsch, mal auf Italienisch aus. Cecilias Zeit für die Gemeinschaft, so sagte sie mir, war beschränkt. Nachmittags gegen 17 Uhr könne sie mich jeweils am Torre Argentino mit ihrem kleinen Wagen aufgabeln, dann ginge es zu einigen alten Menschen in die Vorstadt. Danach zurück zur Kirche und zum Abendgebet. Ich war einverstanden. Meine touristischen Attraktionen konnte ich tagsüber abhandeln, und nachmittags traf ich mich nunmehr mit Cecilia.


    Ich sollte es nicht bereuen und lernte hilfsbedürftige, alte Menschen kennen, deren Augen leuchteten und funkelten, wenn Cecilia an ihr Bett trat.


    Ich machte auch eine schlimme Erfahrung: bei der Vorstellung fragte ein alter Mann, ob ich wirklich DEUTSCHE sei…. Und er bestand darauf, dass ich seine Wohnung verlasse.


    An einem Samstag besuchte ich eine Suppenküche, die auch in Trastevere betrieben wird. Es war nicht ersichtlich, wer hier bedürftig und wer es nicht war. Alle saßen munter schwatzend beisammen, und da ich bereits 3 (drei!) Mal mit Cecilia beim Abendgebet gewesen war, gehörte ich offensichtlich dazu und wurde von drei fast zahnlosen Männern an den Tisch gebeten. Mit ihnen zusammen eine gute Suppe zu löffeln hat sich in meinem Inneren als eines meiner bedeutendsten und beglückendsten Erlebnisse niedergelegt.


    Ich reiste wieder heim, und jedes Jahr, wenn ich Freunde in Rom besuchte, war ich auch in S. Egidio zu Gast. Verrückt: ich kam zum Abendgebet und wurde von irgendwem „erkannt“ und mit großer Freude begrüßt. Schnell wurden die anderen zusammengetrommelt: Paula ist da. Das war ein Herzen und Umarmen.


    In der Zwischenzeit war man aus der kleinen Kirche, die aber Zentrum der Communitá geblieben ist, zum Abendgebet umgezogen nach Santa Maria in Trastevere. Dort findet das Abendgebet allabendlich statt, und mancher Tourist, der im Grunde nur den Trick benutzt, einmal die hell erleuchtete wunderbare Kirche zu sehen, bleibt da und ist fasziniert… und bleibt bei der Communitá hängen – so wie ich.


    Über das Weihnachtsmahl für die Armen, das seit einigen Jahren auch in Santa Maria in Trastevere stattfindet, kann man auf der Homepage lesen und sich ein beeindruckendes Foto anschauen. Mich macht es jedenfalls froh, dass eine Kirche auch schon mal zu etwas sinnvollem wie einem Festmahl genutzt wird !! Man betrachte die wunderbar gedeckten langen Tische. Einmal hatte ich das Glück, Weihnachten dabei zu sein. Wer es einrichten kann, der sollte einmal dabei sein. Die wunderbarste Erfahrung daran: es sind Momente, in denen es sie nicht gibt, die Obdachlosen und Armen und ihnen gegenüber die Wohnungsinhaber und Reichen… es gibt Momente, in denen niemand, wirklich niemand, das noch spürt oder unterscheidet.




    Homepage der Communitá





    Fortsetzung folgt

  • Im Zusammenhang mit dem Weihnachtsmahl noch der Hinweis auf ein Buch, das ich selbst gerade erst entdeckt habe.


    Der Fairness halber muss aber - leider - gesagt werden, dass die Übersetzungen der Bücher von Andrea Riccardi meist etwas "schwächeln", um es einmal vorsichtig auszudrücken. Den Sinn, den Geist, das Anliegen.... kann man aber dennoch aus seinen Schriften herauslesen ;)

  • Schöner Bericht, Paula.


    So muss es sein. Schade, dass es immer wieder Berührungsängste gibt. Wenn ich lese, dass Menschen sich schon dafür bedanken, dass man sie begrüßt und ihnen in die Augen schaut, dann möchte man einige doch gerne mal schütteln.


    P. S. Die Ängste liegen ja immer in mir. Wovor genau habe ich denn da Angst? Etwas falsch zu machen? Gefährlich im eigentlichen Sinne ist es ja nicht.


    [Kommentar geändert]

  • Ich habe mir nach der Lektüre des Artikels mal den Internetauftritt angesehen.


    Imponierend, was man in wenigen Jahrzehnten mit wenig Geld ausrichten kann!


    Das hat die katholische Kirche mit ihrem zusammengerafften Vermögen in 2000 Jahren nicht geschafft.


    PS: Schön ist auch, dass die Internetseite wohl prüft, aus welchem Land der Aufruf erfolgt. Jedenfalls wurde mir eine deutschsprachige Seite offeriert. :thumbsup:

  • PS: Schön ist auch, dass die Internetseite wohl prüft, aus welchem Land der Aufruf erfolgt. Jedenfalls wurde mir eine deutschsprachige Seite offeriert. :thumbsup:[/quote]



    Das @ macht alles durchsichtig.


    Komme ich mit FF rein, ist es deutsch; mit dem IE ist es in englisch. Ist also nicht das Land sondern die software

  • Zum Thema Berührungsängste:


    Vor einigen Jahren hatte ich große Probleme, einen Kollegen, der in den nächsten Monaten sterben würde und den ich sehr mochte, zu besuchen. Stell dir vor, du bist sterbenskrank und deine Freunde besuchen dich nicht, weil sie Angst haben, ging es mir durch den Kopf. Das ist doch pervers, jemanden allein zu lassen, nur weil man irgendwelche dubiosen Ängste hat.


    Ich habe mir einen anderen Kollegen geschnappt und noch in derselben Woche sind wir hingefahren und hatten einen wunderbaren Nachmittag zusammen. Ein Woche später war der Kollege -auch in seiner Situation ganz unerwartet- tot.


    Dieses Erlebnis hat meine Einstellung geändert. Angst ist ein schlechter Berater.


  • Schön, dass wir über Homepage und Technik wieder zum eigentlichen Thema zurück gefunden haben.


    Berührungsängste scheinen mehr und mehr zum gesellschaftlichen Problem zu werden, und so wie sich die abwehrende Haltung den "Armen" gegenüber äußert, zeigt sie sich noch mehr den Sterbenden (die ja auch als "Arme" gesehen werden, jedenfalls von den meisten).


    Wer es schafft, einmal in ein Hospiz zu gehen - und sei es nur am Tag der Offenen Tür - , der könnte anstelle von Berührungsängsten so viele positive Erfahrunge machen. Die Angst würde schwinden und die Berührung bleiben.


    Hierzu demnächst mehr.

  • Berührungsangst ist ein Modewort, das immer dann eingesetzt wird, wenn man zu bequem ist, sich mit etwas Neuem zu beschäftigen. Klingt gut und wird meistens akzeptiert. Wer sich als verängstigt darstellt, hofft auf Mitgefühl.