Wer andern…
Vor langer Zeit, genauer im Jahre 304, rollten in Bonn zwei Köpfe. Der Legende nach
wurden die christlichen, römischen Legionäre Cassius und Florentius hingerichtet,
weil sie sich geweigert hatten, christliche Aufständische gegen den römischen
Kaiser im Rheinland zu bekämpfen.
Auf dieser Legende wurde im Laufe der Jahrhunderte das Bonner Münster gebaut,
das romanische Wahrzeichen der Stadt Bonn.
Damit neben all den jüngere Geschichte erzählenden Wahrzeichen der ehemaligen
Bundeshauptstadt wie dem Bundeshaus, dem Palais Schaumburg, der Villa
Hammerschmidt, dem Kanzlerbungalow oder dem „Langen Eugen“ die ursprüngliche
Geschichte der Stadt nicht verlorengeht, rollen auf einem Platz im Osten des
Münsters seit dem Jahre 2002 wieder die Köpfe - überlebensgroß:
zwei Skulpturen des türkischen Bildhauers Iskender Yediler.
Wie vom Himmel heruntergeplumpst liegen sie dort vor dem romanischen Gemäuer und
erschrecken mit ihren plastisch abgeschnittenen Hälsen den neugierigen
Touristen.
Ein kleiner Junge, vier fünf Jahre alt, biegt vom Markt her um die Ecke. Seine
Mutter bleibt im Hintergrund stehen und beobachtet mit dem Touristen den
Knirps, der seine offensichtlich gewohnte und geliebte Kunsterfahrungstour aufnimmt:
Mit ausgebreiteten Armen segelt er einmal um die beiden vom Himmel gefallenen
Betonmärtyrerköpfe und landet gezielt vor der Nase von Cassius, wo er einmal mit
dem Zeigefinger in das linke Nasenloch und einmal in das rechte sticht. Hierzu
muss der Kleine sich auf die Zehenspitzen stellen. Nach einer nochmaligen Acht
um die Köpfe der Stadtpatrone herum und zwischen ihnen hindurch landet der
Kinderfinger im linken Nasenloch von Florentius und konsequent anschließend im
rechten.
Die wesentlichen Tiefen der Kunstwerke sind für diesen Tag ertastet. Strahlend
vollzieht der Kleine noch eine Abschiedssegelrunde um die Skulpturen und folgt
seiner Mutter zum Markt.
Kurze Zeit später überqueren sie auf Fahrrad und Kinderrädchen – die Einkäufe liegen
in den Fahrradkörben – den Platz. Helme schützen die Köpfe.
Bald wird der kunstbegeisterte Knirps wiederkommen und seine Kenntnisse in moderner Kunst
vertiefen.