Gedanken aus alten Tagen in einem anderen Blog.
Im Blog trifft man Menschen, die man sonst wahrscheinlich nie treffen würde. Vielleicht würde man auch gar nicht mit ihnen ins Gespräch kommen, wenn man sie tatsächlich träfe.
Hier aber ist das möglich: ein buntes Gemisch ganz unterschiedlicher Lebenserfahrungen, Meinungen, Verhaltensweisen. Eine Chance, neue Sichtweisen zu erleben, sich in Frage stellen zu lassen, mit ungewohnten Verhaltensmustern umzugehen.
Aber was passiert? Der eine ist beleidigt, weil man ihm nicht nur zustimmt, und verweigert fortan jegliche Kommunikation. Andere plappern munter drauflos, wollen aber nichts gesagt haben. Bitte, beachte mein Copyright, sonst kriegste richtig Ärger. Wenn sich einer aus der weiteren Diskussion ausklinkt, weil er keinen Sinn darin sieht, wird ihm Hochmut oder Arroganz vorgeworfen.
Wer kritisch-ironisch auf heuchlerisches Verhalten hinweist, wird zum Blog-Monster erhoben. Allein das zeigt, dass er Recht hat. Keiner würde sich reiben, wenn er sich nicht angesprochen fühlte.
Das sagen auch die, die ständig jeden ungefragt "bespiegeln" und ungebeten gute Ratschläge zur Hand haben. Offensichtlich sieht jeder sofort, was der andere "falsch" macht und muss ihn eines Besseren belehren.
Gleichzeitg wehrt man sich aber gegen jede kritische Anmerkung. Für Hobby-Psychologen ist jeder, der etwas kritisch sieht, unzufrieden und vom Leben benachteiligt. Woher nehmen sie die Sicherheit, dass es demjenigen, der anders lebt und anders denkt als sie, schlechter gehen muss?
Und dann die Frage des guten Tons. Was darf man wie sagen? Wo fängt die Beleidigung an, wann muss der Stadtrat her? Da wird jemand untragbar. Hallo?? Das stammt aus dem Wörterbuch des Unmenschen! Menschen sind grundsätzlich nicht untragbar, höchstens ihr Verhalten. Hier aber redet man vom "Gesocks"? Unterstellungen und Gerüchte haben Hochkonjunktur. Warum? Nur wer sich beim Stammisch ausweist, ist ein guter Mensch? Kennt man sich besser, wenn man sich gesehen hat? Ist die Anonymität im Blog so "verdächtig", jeder, der sie als notwendig ansieht, automatisch ein böser Mensch?
Der Blog könnte eine Chance für uns alle sein, wenn wir bereit wären, den anderen anders sein zu lassen, das Neue zu ertragen, uns auch selbst in Frage stellen zu lassen und über uns zu lachen, dem anderen wohlwollend begegnen könnten, anstatt reflexartig böse Absichten unterstellen zu müssen, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen müssten ... wenn wir einfach nur zuhören könnten, ohne ein fertiges Bild von dem anderen und von uns selbst zu haben ... wenn wir noch Fragen hätten und nicht nur Antworten.
Die Alternative? Ein Kuschelblog, wo jeder sein Fähnchen nach dem Wind hängt, damit die Sternchen und Klicks stimmen?
Erstveröffentlichung am 12. 02. 08 in Wer zuletzt lacht