Volker Hagedorn - Der Klang von Paris

  • Gestern Abend in der Zentralbibliothek Köln:
    Als Reiseleiter auf einer ebenso informativen, wie vergnüglichen Zeitreise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts, Paris, beeindruckte Autor Volker Hagedorn mit umfassendem, bis ins kleinste Detail gehendem Wissen. Ihm zur Seite Philharmonie-Intendant Louwrens Langevoort, ein nicht minder sachkundiger Gesprächspartner und Begleiter. Mit offenkundigem Spaß boten die beiden Herren abwechselnd Lesungen, Austausch über politische und gesellschaftliche Einzelheiten der Epoche, wie auch Einblicke in Biografien und Werke zahlreicher Protagonisten, nicht allein jener der "Grand Opéra".
    Man schlug den Bogen von Berlioz und Chopin über Meyerbeer, die Autoren George Sand und Heinrich Heine bis hin zu Richard Wagner und sein verunglücktes Debut eines Musikdramas. Natürlich durfte auch der gebürtige Kölner Jaques Offenbach nicht fehlen, ihm zum Gedenken leben wir schließlich im "Offenbach-Jahr 2019".
    Fragen oder Anmerkungen aus dem Publikum wurden gern aufgegriffen und einbezogen.
    Herzlicher Beifall



    Christoph Vratz' Buch-Tipp vom 27.2.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik:



    Volker Hagedorn - Der Klang von Paris
    In Paris wurde Musikgeschichte geschrieben, vor allem im 19. Jahrhundert, vor allem in der Oper. Die „Grand Opéra“ war das große Ziel vieler Komponisten; wer hier reüssierte, zählte zu den wichtigsten Musikern in ganz Europa. Gleichzeitig wurde der musikalische Salon zu einem Treffpunkt der einflussreichsten Agenten, Interpreten, Komponisten. Im kleinen Raum wurde viel Neues ausprobiert, bevor die Musik dann in den großen Konzertsaal wanderte. Autor Volker Hagedorn hat sich auf Spurensuche begeben und das musikalische Paris im 19. Jahrhundert erkundet.
    Anfang Mai 1864 stirbt Giacomo Meyerbeer, und ganz Paris scheint auf den Beinen:

    "Paris erlebt ein Tableau, für das jedes Opernhaus zu klein wäre. Zwei Stunden dauert am 6. Mai der Leichenzug. Weil der Komponist auf dem Jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt Berlin bestattet sein will, wird der Gare du Nord zu seiner letzten Bühne in Paris – genauer, die Baustelle dieses Bahnhofs. James de Rothschild, Eigentümer der Nordlinie, lässt für diesen Freitag die Bauarbeiten ruhen. Im Zentrum der Beschleunigung wird für Giacomo Meyerbeer die Zeit angehalten."

    Es ist eine der letzten Episoden in Volker Hagedorns Buch „Der Klang von Paris. Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts“ – und diese Szene zeigt noch einmal, was den Leser bis dahin rund 350 Seiten lang in Atem gehalten hat: Die enge Verzahnung von Stadthistorie und Musikgeschichte, so unmittelbar erzählt, als sei der Leser selbst dabei. Am Vorabend des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 endet dieses Buch, also noch deutlich vor der Jahrhundertwende. Aber das macht Sinn. Denn nach dem Krieg beginnt ein neues Kapitel, und, wer weiß, vielleicht lässt Hagedorn irgendwann noch einen zweiten Band folgen, der den Impressionismus einschließt. Das vorliegende Buch beginnt im Oktober 1821, als Hector Berlioz erstmals die Metropole Paris erreicht.


    "Ein letzter Pferdewechsel, man vertritt sich im Morgengrauen die Beine und fröstelt. „Paris“, sagt der Postillon knapp und mürrisch und deutet vage nach Norden, als sei da schon etwas zu erkennen. Hector sieht nur flaches, leicht gewelltes Land im Nebel, grau und schwarz schraffiert, die Berge sind längst gewichen. Als nach weiterer Fahrt rechts der Seine zwischen Hügeln die Stadt erscheint, ist sie fast so übersichtlich wie auf einem Kupferstich."


    Hector Berlioz wird in diesem Buch zu einer Art Reisebegleiter, er ist nicht ständig präsent, aber er taucht immer wieder auf, bei Großereignissen und bei Begegnungen im Salon.


    "Chopin ist zu Berlioz getreten, der sich inzwischen beruhigt hat und ihn heiter fragt, ob er und Liszt etwa wieder Bach spielen wollten. […] „Oh, man kann sich gut mit Bach amüsieren“, sagt Chopin, der mit dem „Wohltemperierten Klavier“ groß geworden ist, „aber ich werde Sie nicht quälen, lieber Hector.“


    Hagedorn schildert die einzelnen Episoden mit einer geradezu filmischen Intensität, als laufe er mit einer kleinen Kamera neben den Figuren her. Alles fängt er haarscharf ein, und alles kleidet er in eine sehr lebendige, anschauliche Sprache. So gelingen ihm immer wieder erhellende Verzahnungen zwischen Stadt-, Mentalitäts- und Musikgeschichte. Hagedorn, bekannt vor allem als Autor der Wochenzeitung „Die Zeit“, zeigt Paris als einen Jahrmarkt der Eitelkeiten, aber auch als eine Stadt neuer Entwicklungen – mit der Musik als dem wahren Zentrum. Er verzichtet auf genauere Werkbetrachtungen, schildert dafür detail- und kenntnisreich Stimmungen und Atmosphären, kleine Begebenheiten und große Veränderungen, die sich in und um Paris ereignet haben – etwa eine Zugfahrt des Frédéric Chopin:

    "In Orléans kann er am nächsten Morgen um kurz vor sieben Uhr endlich in den Zug steigen, der diese Stadt seit 1843 mit Paris verbindet. Natürlich nimmt er ein Abteil in einem der vier ‚voitures couvertes et garnie‘, überdacht und gepolstert, Waggons mit je drei Abteilen, wie Kutschengehäuse aneinandergefügt. Die beiden Lokomotiven ganz vorn fauchen unter Dampf, direkt hinter dem Kohlentender der zweiten ist der Gepäckwagen, in den der Pleyel<-Flügel> geladen wurde. Chopin geht vorbei an den vier letzten Waggons, schlichten Bretterkisten ohne Dach, dreiachsig, gerammelt voll mit einfachen Leuten, die für die Fahrt gut sechs Francs zahlen – soviel, wie ein Erntehelfer in drei Tagen verdient. Chopin zahlt das Doppelte und hofft auf eine Fahrt ohne Gegenüber;"


    Hagedorn hat viele Quellen genau ausgewertet und bringt sie nun in eine fast romanhafte Erzählung. Das heißt, er fügt durchaus fiktionale Momente ein, ohne dadurch die Gültigkeit seiner Quellen zu konterkarieren. Dass er gelegentliche Schlenker in die Gegenwart vornimmt, schärft zwar das Auge des vergleichenden Betrachters – wäre aber nicht zwingend notwendig gewesen. Denn auch so ist das Buch packend erzählt, es hält die Neugierde des Lesers konstant hoch und liefert ein sehr plastisches Bild von den musikalischen Hauptdarstellern auf der Theaterbühne Paris. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja wirklich eines Tages eine Fortsetzung, die sich dann der Zeit ab 1870/71 widmet…



    Volker Hagedorn
    Der Klang von Paris.
    Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts
    Verlag: Rowohlt
    Länge: 410 Seiten
    Preis: 25,00 €
    Bestellnummer: ISBN 978-3-498-03035-3

  • Habt ihr Lust bekommen, Volker Hagedorns "Klang von Paris" nachzuspüren? Vielleicht gibt die Rezension des 'Welt'-Kulturredakteurs Tilman Krause den entscheidenden Stubser.
    Hagedorn fand sie offenbar so gut, dass er sie auf seiner Homepage ausdrücklich erwähnt. :thumbup:



    Empfang bei der Welt
    Von Tilman Krause


    So klang Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts. Eine musikalische Reise von der Madeleine über die Opéra Garnier bis zum Tristanakkord


    Paris – schön und gut. Oder besser gesagt: großartig und wunderbar. Aber wie klingt es? Hat es überhaupt einen bestimmten, unverwechselbaren Klang? So wie es ja zweifellos einen spezifischen Geruch hat, in der Metro zum Beispiel. Na, und erst die Farben! Das silberne Band der Seine, das sich durch ein Häusermeer in Ocker-, Schiefer-, Perlmutttönen zieht, ein Häusermeer, das sanft emporsteigt bis hinauf zur Kirche Sacré Cœur in ihrem morosen Elfenbeinton. Und immer wieder auch die grünen Inseln der Parks und Gärten. Im Sonnenlicht schimmern sie wie Baldachine von Smaragd. Schon klar, Paris, das ist ein Fest fürs Leben, weil es ein Fest der Sinne ist. Aber auch in akustischer Hinsicht?In René Clairs Kultfilm „Unter den Dächern von Paris“ von 1930 spielen in den Höfen Drehorgelmänner ihre melancholischen Walzer, und bis in die Neunzigerjahre drang tatsächlich aus Pariser Cafés jenes Akkordeon, das in den Chansons von Edith Piaf, Charles Trenet oder Jacques Brel eine so große Rolle spielt. Chansons, in denen diese ganze Padam-Padam-Padam-Musik des „Bal Musette“ aufbewahrt war, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Aber heute? In einem Paris, vor dem die Globalisierung so wenig haltmacht wie vor den anderen Metropolen der westlichen Welt? Der Fünf-Töne-Jingle, der auf Flughäfen und Bahnhöfen erklingt, bevor eine Ansage gemacht wird, ist nur ein schwacher Nachhall dessen, was einst an melodiösem Geräusch Paris erfüllte. Und auch mit dem dezenten Ausrufen der Metrostationen à la „Saint Germain des Prés?“ (die Stimme geht rauf) hin zu „Saint Germain des Prés!“ (die Stimme geht runter) hat man zwar eine originelle Tonvariante zu den Fragen gefunden, die jeder Passagier sich stellt („Muss ich jetzt raus? Ja, jetzt muss ich raus!“). Aber als Klangerlebnis ist das doch alles ein wenig karg.


    Um 1900 war das noch ganz anders. Da muss die Stadt so faszinierend getönt haben, dass die damals aktuelle naturalistische Oper nicht müde wurde, auf den „Klang von Paris“ zurückzugreifen, dem jetzt der Musikschriftsteller und ehemalige Musikkritiker der „Zeit“, Volker Hagedorn, eine faszinierend facettenreiche Studie widmet (Rowohlt, 410 S., 24, 95 €). Zwar kommen bei ihm die tutenden Fischerkähne auf der Seine, die Puccini in seinem Einakter „Der Mantel“ musikalisch verewigt hat, genauso wenig vor wie die großstädtischen Klangfetzen, von denen das Liebespaar in Charpentiers „Louise“ umweht wird, wenn es sich nach gehabtem Tanzvergnügen auf den Heimweg den Montmartre hinauf macht. Aber das verzeiht man dem inspirierten Autor. Denn er schüttet ein solches Füllhorn an musikalischer Vergegenwärtigung vor den Leser hin, dass dem während der Lektüre mitunter schwindlig werden kann vor soviel akustischen Assoziationen.


    Wer beispielsweise die Seiten liest, auf denen Hagedorn den Klang der großen Pariser Kirchenorgeln heraufbeschwört, der spürt das Brausen von Charles-Marie Widors berühmten Orgelstücken im Ohr. Sie entstanden in der Zeit, da der Komponist als Organist von Saint-Sulpice amtierte, wo, wie auch in der Madeleine, in St. Roch oder Ste. Clothilde, die gewaltigen Instrumentenburgen des Orgelbauers Aristide Cavaillé-Coll thronten, an denen zu spielen auch andere berühmte Komponisten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie Charles Gounod, Camille Saint-Saëns oder César Franck sich förmlich rissen.



    Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, wie Walter Benjamin es genannt hat, war, was man gern vergisst, auch die Kapitale der Musik. Vor allem der Oper wurde im Zweiten Kaiserreich ein wahrer Tempel, die Salle Garnier, errichtet (die allerdings erst nach dem Sturz Napoleons III. im Jahr 1875 vollendet wurde). In der Opéra Comique, die sich seit 1783 dort befindet, wo sie nach wie vor steht, wurde der Klassiker schlechthin des französischen Repertoires uraufgeführt (Bizets „Carmen“) und im Théâtre Lyrique (heute Théâtre de la Ville, gegenüber vom Châtelet) hob man jene wunderbar melodienseligen, hinreißend raffiniert instrumentierten „Perlenfischer“ von Bizet, „Faust“, „Mireille“, „Roméo et Juliette“ von Gounod aus der Taufe, die heute auch endlich wieder zur Geltung kommen.Näher an der Pariser Wirklichkeit jener Jahre, an den Turbulenzen und Kapriolen einer sich zunehmend industriealisierenden, sich politisch ausdifferenzierenden Gesellschaft sind freilich die vor Spott, Frechheit, Frivolität nur so sprühenden Operetten des Jacques Offenbach. Wie dieser Jude aus Köln die Julimonarchie und das Zweite Kaiserreich aufmischte, aus welchem geistigen Klima er seine Anregungen bezog und wie er zurückstrahlte mit seinen Travestien auf ein zunehmend im Modus der Selbstironie um sich selbst kreisendes urbanes Publikum – das hat seinerzeit bereits Siegfried Kracauer, den am wenigsten dogmatischen Vertreter der berühmt-berüchtigten Frankfurter Schule, zur Darstellung gereizt.



    Von Kracauers Verfahren, Musikgeschichte als Gesellschaftsgeschichte zu erzählen, profitiert auch Hagedorns Buch. Doch hat es Kracauer ganz entschieden das profunde musikologische Wissen voraus. Und damit eine Akzentsetzung, die dazu führt, dass sein „Klang von Paris“ sich unter der Hand auswächst zu einer geist- und kenntnisreich arrangierten Analyse des deutsch-französischen Musiktransfers. Der empfangende Teil ist dabei – Überraschung! – hauptsächlich Richard Wagner, der heimliche Held (oder besser: Antiheld?) des Buches. Hagedorn umkreist raffiniert den kleinen, ehrgeizigen Herrn aus Sachsen. Er zeigt ihn im Gespräch mit seinem damals noch weit berühmteren Landsmann Heinrich Heine, eine Szene, die man mit Heinrich Mann „Empfang bei der Welt“ überschreiben können; sehr amüsant, sehr maliziös ist dieses Kabinettstück. Hagedorn zeigt Wagner aber auch antichambrierend bei dem Komponisten Meyerbeer sowie dem Musikalienhändler Schlesinger, beide ebenfalls Juden, die sich ihm gegenüber überaus hilfreich erweisen, ihn fördern, unterstützen, wo sie nur können. Doch sie haben ihn arm und bedürftig gesehen, was ihnen der spät Arrivierte nie verzieh. Er rächte sich bekanntlich für erwiesene Wohltaten in seiner unrühmlichen Kampfschrift „Das Judentum in der Musik“ dafür, dass er den Juden so viel zu verdanken hatte.
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    Etwas glimpflicher ging er mit Anregungen und Inspirationen um, die von Hector Berlioz kamen. Für den hat Hagedorn anscheinend ein großes Faible. Er sieht in dem großen Unzeitgemäßen das französische Pendant zu Wagner, ihm gleich an Unkonventionalität und Leidenschaft sowie einem gewissen Hang zum Maßlosen. Vor allem von Berlioz’ sinfonischen Dichtungen „Harold en Italie“ und „Benvenuto Cellini“ zeigt sich Wagner, als er sie um 1840 kennenlernt, tief beeindruckt, obwohl er auch diese Faszination später, in „Mein Leben“, relativiert. Aber zur Zeit des „Tristan“ scheint er sich noch vor allem zu seiner Bewunderung für Berlioz’ Oper „Roméo et Juliette“ zu bekennen.„Tatsächlich hat er dieses Kunstwerk so genau studiert, dass er noch achtzehn Jahre später den magischen Moment der Liebesnacht, in dem sich um das E der Flöte noch A, C und Fis legen, um einen Halbton senkt zu jenem Akkord, den wir ,Tristanakkord’ nennen“, schreibt Hagedorn. Und fährt fort: „Er wird noch sehr gut wissen, woher er das hat, und Berlioz sogar ein Exemplar der Partitur des ,Tristan’ widmen: ,Au cher et grand auteur de Roméo et Juliette’.“ Anderes von Berlioz Angeregte finde sich im „Tannhäuser“, im „Lohengrin“, so Hagedorn: „Jede dieser Noten wird ihm später ein Grund mehr sein, die Pariser Zeit gegenüber dem Publikum als unergiebigste seines Lebens abzutun, während das Gegenteil der Fall ist.“
    Einflussangst nennt man das in der Literaturwissenschaft. Sie steht der akkuraten Erinnerung im Weg, die Romano Guardini als Dankbarkeit des Herzens auffasste. Über weite Strecken liest sich daher Volker Hagedorns „Klang von Paris“ als eine nachgeholte Dankbarkeitsadresse an die Franzosen.
    Ja, wir Deutschen haben hier noch manche Schuld abzutragen. Wie schön, dass dieses Buch sich dieser noblen Aufgabe auf eine so begeisterte, begeisternde Weise unterzieht!

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