Wir erwarten wie selbstverständlich, dass wir von unseren Mitmenschen nicht angelogen werden, dass sie uns immer die Wahrheit sagen. Geht das überhaupt?
Die Wahrheit ist für uns ein hohes Gut. Wir wollen nicht angelogen werde, wollen wissen, wie es "wirklich" ist. Das ist verständlich, wir können auch gar nicht anders. Wir müssen uns orientieren, uns ein Bild von der Wirklichkeit machen.
Selbst im wissenschaftlichen Bereich sind die "erwiesenen" Tatsachen nicht in der Überzahl und werden selbst da durch neue Erkenntnisse nach Jahren oft noch korrigiert.
Wie schwierig ist es da erst mit der Wahrheit im zwischenmenschlichen Bereich?
Natürlich kann man grundsätzlich zweifelsfrei feststellen, ob jemand an dem Ort war, von dem er erzählt, ob er das getan hat, mit dem er sich brüstet. Auch setzt die "Lüge" ja "Wahrheit" voraus, nämlich als bewusstes Abweichen von ihr. Gäbe es keine "Wahrheit", könnte man auch nicht lügen.
Wie ist das aber, wenn zwei Menschen, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren, unterschiedlich darüber berichten? Sie erzählen beide "wahrheitssgemäß", keiner von beiden lügt bewusst, aber ihre Berichte unterscheiden sich deutlich. Wie kann das sein? Wo bleibt da die Wahrheit?
Müssen wir uns damit abfinden, dass es die Wahrheit gar nicht geben kann, dass es sich da um eine Hilfskonstruktion handelt, damit wir uns überhaupt ein "Bild" von der Welt machen können?