Paul Burke, Der Scheinheilige

  • Der erste Roman des britischen Werbetexters Burke hat mich oft zum Schmunzeln gebracht. Er beherrscht alle Facetten der Sprache und seine Hauptfigur Francis Dempsey ist -natürlich- überhaupt nicht scheinheilig.


    Francis Dempsey stammt aus dem armen Norden von London, in dem aktuell gerade ein Hochhaus lichterloh brannte. Die Familie gehört zur großen irischen Gemeinde dort und deshalb sitzt Francis schon als Kind allsonntäglich in der Kirche und hängt dort seinen Tagträumen nach.


    Bis sein Vater einen entscheidenden "Fehler" begeht und seinen Sohn auffordert, gefälligst dem Priester zuzuhören. Francis, elf Jahre alt, konzentriert sich auf die Liturgie und er verändert sein Leben.


    Denn er ist zwar arm, aber schon im zarten Alter von elf ein kleveres Kerlchen: Welches Lamm kann Sünden tragen? Beim Mea Culpa schägt die alte Mrs. Dunne sich so heftig auf die Brust, dass er überlegt, ob sie als Kind in Irland wohl einen Menschen erschlagen hat. Noch schlimmer wird es bei der Kommunion: Selbst wenn die Waffelpättchen, die immer am Gaumen kleben, übereinander gestapelt, tatsächlich winzige Körperteile eines Mannes enthalten, warum sollte jemand sie essen wollen?
    Die Beichte? Man kniet in einem Kleiderschrank und erzählt einem wildfremden Mann die intimsten Geheimnisse.


    Francis beschließt, ab sofort nicht mehr an Gott zu glauben, da der zu diesem "Schwachsinn" offensichtlich schweigt.


    Dass er als intelligenter, redegewandter und gut aussehender junger Mann dann ausgerechnet selber Priester wird, ist durchaus schlüssig erzählt. Lest selbst, wie der Taxi fahrende Priester nicht nur seine Gemeinde begeistert.


    300 Seiten Lesespaß mit Tiefsinn.


    Paul Burke, Der Scheinheilige
    Lübbe Verlag 2005

  • Francis spürte den vertrauten heißen Stich katholischen Schuldgefühls, das einen durchzuckte, wenn man derlei ketzerische Gedanken hatte. Wie konnte er solche schlimmen, blasphemischen Gedanken über den Herrn auch nur im Entferntesten denken? Aber Moment mal -er dachte ja gar nichts Schlimmes über Gott. Im Gegenteil! Er ging davon aus, dass Gott ein netter, bescheidener Herr war, ein Mann, dem es peinlich war, wenn man ihm derart in den Allerwertesten kroch (das andere Wort mit A im Zusammenhang mit dem Herrn zu denken, wäre ihm dann doch zu unerhört erschienen). Nachdem er sich mit diesem hübschen kleinen Selbstentlastungskunststück elegant aus der Affaire gezogen hatte, stieg Francis sogleich wieder in den Gedankenzug ein, der an allen Bahnhöfen auf dem Weg zur ewigen Verdammnis hielt.
    ...

    Er beschloss, Kontakt zu Gott aufzunehmen. Vielleicht hatte der ja eine Idee.
    Aber von Gott kam nichts.
    "Komm schon!", nörgelte er. "Ich bin in der Kirche, ich knie vor dir. Du könntest mir jetzt ruhig mal helfen."
    Schweigen.
    Frank lehnte sich zurück und schaute Pater Rogan bei der Predigt zu. Obwohl er nicht auf den Inhalt achtete, war er schlagartig von dem Konzept fasziniert. Welcher andere Beruf bot einem allwöchentlich die Gelegenheit, auf ein Podest zu steigen und einem gebannt lauschenden Publikum von mehreren hundert Leuten zu erzählen, was man wollte, mit der Gewissheit, dass diese sich verpflichtet fühlten, das zu befolgen, was man sagte? ... in welchem anderen Metier galt man automatisch als tugendhaft, ja fast heilig?
    Nein, nein, das ging nicht ...
    ...

    Das Priesteramt. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr kam er auf den Geschmack. Als DJ hatte er, ohne es zu wollen, einige der Eigenschaften entwickelt, die einen guten Priester auszeichnen. Er hatte nachgewiesen, dass er eine natürliche Begabung dafür besaß, Menschen zusammenzubringen, sie in gute Stimmung zu versetzen, ihre Gefühle zu steuern. ... Die Messe war eine Zeremonie, der Priester war ihr Meister, und die Elf-Uhr-Messe konnte man durchaus als einen großen Gig sehen, wie es in der Sprache der DJs hieß.


    Man könnte sagen, dass Frank das Priesteramt usurpiert, aber er missbraucht es nicht.


    Und nein, ich habe nicht zu "verraten": Die Zitate enden auf Seite 81.

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