Der Sommer am Ende des Jahrhunderts

  • Fabio Geda bietet mit diesem Roman 350 Seiten reines Lesevergnügen, obwohl die Geschichte in weiten Teilen alles andere als "vergnüglich" ist.


    Glaubt man dem Klappentext, erzählt der 12jährige Zeno, der nicht ganz freiwillig plötzlich bei seinem grummeligen Großvater in abgeschiedener Bergeinsamkeit einquartiert wird; bei einem Großvater, von dessen Existenz er bis dahin gar nicht wusste.


    Ja, Zeno erzählt, aber nicht als 12-Jähriger, sondern im Rückblick. Seine Reflexionen bilden zusammen mit den Lebenserinnerungen des Großvaters, die in die chronologische Geschichte des Sommers eingefügt sind, die dritte Erzählebene. Der Roman erfodert einen aufmerksamen Leser.
    Dass Zeno als Erwachsener erzählt, hat für den Leser gleichzeitig den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass er zwar in die Gedankenwelt eines Kindes eintaucht, sich aber nicht durch eine holprig-eingeschränkte Kindersprache quälen zu muss.



    Im Frühling 1999 aber, als der seltsamste Sommer meines Lebens seinen Lauf nahm, [...] Damals war ich zwölf Jahre alt und während die Sonne in ihrer ganzen Pracht über dem Mittelmeer aufging, versuchte ich den Bootsmotor anzuwerfen, um meinen Vater an Land zu bringen. Einen Vater, der aus meiner Sicht genauso gut hätte tot sein können.
    ...
    Ich brauchte eine Viertelstunde bis zum Landungssteg - fünfzehn Minuten, in denen sich die Erdzeitalter hintereinander auftürmten, Gletscher und brüllende Lavahitze mit sich brachten. Es fielen auch Worte, Worte, die ich nicht aussprach, die aber trotzdem über meine Lippen kamen. Wach auf, Papa, wach auf! In dieser Viertelstunde verschwendete ich keinen Gedanken daran, was ich tun würde, wenn ich das Boot vertäut hätte. Bestimmt würde aus dem Nichts ein Krankenwagen auftauchen. Doch dem war nicht so, keine Menschenseele war zu sehen. [...] Bis nach Hause waren es acht Minuten zu Fuß - zwei, wenn man rannte. Anderthalb Minuten später sackte ich auf dem Wohnzimmerboden zusammen.

    Einfühlsam erzählt Geda eine Geschichte, die weit mehr ist als eine italienische Familiengeschichte aus dem letzten Jahrhundert.



    Für mich ein gelungener Roman über die Bedeutung der Erinnerung und Lebensfreude trotz schwieriger Zeiten. Geschrieben in einer Sprache, die sich zu lesen lohnt.


    Der Roman berührt, ganz ohne an irgendeiner Stelle in Kitsch zu verfallen.


    Fabio Geda, Der Sommer am Ende des Jahrhunderts.
    btb, 2015
    Zitate: S. 19f



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