Das muss man doch noch sagen dürfen!

  • Überall wird ständig beurteilt, oft werden wir dazu herausgefordert .... ist wirklich überall unsere Meinung gefragt? Oder nutzt doch jeder die Meinungsfreiheit nur in seinem Sinn?



    Kritik - ein hartes Wort?
    Wenn man vom Klang ausgeht, allemal: Nur harte Konsonanten, der hohe Vokal wie ein Aufschrei! Da steckt die akustische Verletzungsgefahr ja schon drin.
    Eine Kritik kann grundsätzlich positiv oder negativ sein, bezogen auf einen Film oder ein Buch, z. B. eine "tolle Kritik", ein "Verriss", oder alles dazwischen.


    Solch mehrdeutige Wörter erschweren die Kommunikation, deshalb werden sie durch eindeutige ersetzt oder verlieren im Kontext die Mehrdeutigkeit. Es bleibt zwar der "Kritiker", der "kritische Geist", auch "kritikfähig" zu sein, ist noch positiv belegt, aber da hört es dann auch schon langsam auf.


    Jemanden zu kritisieren meint, seine Schwächen und Fehler aufzuzeigen. Da der Begriff meist sehr negativ daher kommt, wird er oft ersetzt durch: Ich sag ja nur meine Meinung.
    Das ist ein grundsätzlich positives Anliegen, das man kaum jemandem verweigern kann, ohne grob zu werden.


    Was ist dran an der Kritik, das es so schwer macht, mit ihr umzugehen? Kritisieren heißt "bewerten", "beurteilen". Und genau da beginnt das Problem.
    Wer beurteilt wen oder was, und vor allem, aufgrund welcher objektiven, allgemein gültigen Kriterien? Schon die Gerichte tun sich bei der Urteilsfindung oft schwer, obwohl da ja die Grundlagen noch gegeben sind. Bei Sportwettkämpfen entscheidet im besten Fall die Uhr, oder das Zielphoto, meist ist aber der Subjektivität Tür und Tor geöffnet. Sie wird oft verdeckt durch tatsächliche, oder auch vorgetäuschte Sachkenntnis, zusätzlich garniert mit dem entsprechenden Fachvokabular, oder reiner Rhetorik. Da ist der weniger Informierte von vornherein im Nachteil.


    Zum Problem wird das aber erst dadurch, dass sich heute jeder berufen fühlt, oder sogar dazu aufgefordert wird, jeden und alles permanent zu bewerten. Meinungsumfragen, Talkshows und Mitmachshows haben Hochkonjunktur. Wer nicht anruft oder simst, bleibt außen vor, zählt nicht: es lebe der TED. Auch der Blog stellt eine Situation her, die zum Kommentar, zur Kritik auffordert: Wer nicht kommentiert, ist nicht präsent.


    Warum kritisiert der Kritiker?


    - Hat er einen schlechten Tag und ist ohnehin von allem genervt?
    - Ist er gerade selbst kritisiert worden und verschafft sich jetzt Luft?
    - Hat er den Angesprochenen noch nie leiden können?
    - Bringt ihn das Thema/das Verhalten immer auf die Palme?
    - Hat er Freude an der Provokation, weil sie ihm Macht über andere gibt?
    - Stört ihn ein Verhalten/eine Meinung und er will das auch zum Ausdruck bringen?
    - Glaubt er, einen anderen auf etwas Wichtiges hinweisen zu müssen?
    - Ist er spontan immer davon überzeugt, dass er es besser weiß?
    - Glaubt er, jemanden vor einem Fehler bewahren zu müssen?
    - Hat er verlernt, bei anderen das Positive zu sehen?
    - Erscheint es ihm als zu oberflächlich, nicht auch auf Schwächen hinzuweisen?
    - Fühlt er sich gut in der Position des Kritikers, weil sie ihn über den anderen stellt?
    - Lenkt die Kritik an anderen ihn von den eigenen Schwächen ab?


    Es fällt auf, dass der Kritiker in vielen Fällen sich selbst im Blick hat -oft sicher unbewusst-, wenn er einen anderen beurteilt. Obwohl die Kritik formal ganz offensichtlich auf ein Du zielt, steht dieses Du oft nur scheinbar im Mittelpunkt.


    Ginge es tatsächlich darum, wäre der Kritiker an einer Lösung interessiert, müsste er anders handeln. Jede Kritik, sie mag noch so berechtigt sein, drängt den anderen in eine Verteidigungsposition. Es sollen schon Ehen nur deshalb geschlossen worden sein, weil die Eltern sie kritisch gesehen haben. Gerade die schonungslos offene Kritik, die sich so gern ihrer "Ehrlichkeit" rühmt, verhindert geradezu, dass der vielleicht zurecht Kritisierte sich mit ihr auseinandersetzen kann. Reflexartig schützt er sich, verteidigt Schwächen, die er selbst längst als solche erkannt hat, und Verhaltensweisen, mit denen er selbst nicht glücklich ist


    Und noch eins ist entscheidend, wenn es wirklich um das Wohl des anderen gehen soll: Ich kann nur dem etwas sagen, der zuhören kann und will.


    Als unbewusster Fürsprecher seiner selbst hat der Kritiker ziemlich viel Macht -vielleicht überwiegt diese Form der Kritik gerade deshalb-, geht es ihm um sein Gegenüber, ist der Einfluss begrenzt.


    Der Gedanke müsste jetzt fortgeführt werden mit einem genaueren Blick auf die Situation des Kritisierten, des Beurteilten. Wovon hängt es ab, wie er mit Kritik umgeht, welche Möglichkeiten hat er? Das geht mit Rücksicht auf die Lesefreundlichkeit aber nur mit einem zweiten Anlauf.






    Erstveröffentlichung 18. 06. 2007

  • So ist es berlin.


    Der Beitrag hatte 134 Kommentare, die ich nicht alle hier anfügen werde. Nur wenige haben sich auf den Blickwinkel des Kritisierenden eingelassen, die meisten haben sich auf den bösen Kritiker gestürzt, den anderen ... sich selbst sahen die meisten als neutralen Beobachter, der nur seine Meinung sagt und auf Kritik reagiert, oder sie - zurecht?- anprangert.


    Deshalb mein Kommentar, der aber den Lauf der Diskussion nicht veränderte. Der Empfänger bestimmt eben immer die Botschaft. Mit dem Kritisierten kann man sich wohl leichter identifizieren als mit dem Kritiker, der man nicht sein will ... ??


    Den angekündigten Beitrag, welche Möglichkeiten der Kritisierte hat, mit Kritik umzugehen, habe ich dann nicht mehr geschrieben. Er geht mir aber wieder durch den Kopf. Möglicherweise kommt er noch.



    18.06.2007 | 20.58 Uhr | escape
    @alle
    Ich kann eure Reaktionen gut nachvollziehen. Jeder ist beim Stichwort Kritik da eingestiegen, wo er gedanklich gerade hängt. Verständlich.


    Es ging mir allerdings darum, den KRITIKER genauer zu betrachten, MICH als Kritiker, bewusst zu machen, warum wir überhaupt beurteilen. Das frag ich mich, seit ich den ersten Kommentar hier geschrieben habe.
    Und es geht mir auch gar nicht nur um den Blog, das ist der Sonderfall. Im täglichen Leben beurteilen wir ständig, ohne dass es uns bewusst wäre. Die eigene Wertung fließt in fast jeden Satz mit ein. Im Alltag entstehen oft "Streitgespräche", bei denen wir uns wundern, WO der Streit denn eigentlich begonnen hat. Wir haben doch ganz "sachlich" und "vernünftig" geredet! Instinktiv suchen wir meist die Schuld beim anderen. Wir sind uns des "Urteils", das der andere herausgehört hat, gar nicht bewusst, fühlen uns nur selbst kritisiert.



    Die Diskussion zog sich bins zum 26. 6. 2007


    Zwei Jahre später stößt Anita aufgrund meiner Verlinkung in einem aktuellen Beitrag?? auf diesen Blog. Geantwortet habe ich ihr möglicherweise im GB. Anders als hier, ist bei den stadtmenschen ein alter Beitrag schon nach ein paar Tagen durch, Hinweise auf neue Kommentare bekommt dann nur noch der Autor.


    09.08.2009 | 11.08 Uhr | Anita Brandtstäter
    Hallo escape,
    danke für den Link auf Deinen aus meiner Sicht immer wieder aktuellen Beitrag, in der Du Kritik aus der Sicht des Kritikers reflektiert.


    Was mir beim Lesen aufgefallen ist: Du unterscheidest nicht zwischen Kritik an einem Menschen und Kritik an z.B. einem Beitrag. Ist das nicht ein großer Unterschied?
    Reflexartig schützt er sich, verteidigt Schwächen, die er selbst längst als solche erkannt hat, und Verhaltensweisen, mit denen er selbst nicht glücklich ist. Das passiert doch nur, wenn der Kritisierte sich persönlich angegriffen fühlt.
    Schönen Sonntag
    Anita



    Auf die von Anita geforderte Unterscheidung habe ich tatsächlich verzichtet, möglicherweise unbewusst. Um eine Kritik am Menschen geht und ging es mir nie. Aber genau da liegt m. E. das Problem: der Kritisierte macht diese feine Unterscheidung nicht. Er fühlt sich kritisiert, egal ob es um einen Beitrag/Kommentar oder ein Verhalten geht.


    Alle Kommentare findet man hier:


    http://ksta.stadtmenschen.de/b…abe/ksta_blogs/index.html