Gibt's Konsequenzen bezüglich der grotesken Anweisungen des FIFA-Chefs, Infantino ?
Na gut, in der europäischen Presse wird ausgiebig geschimpft und gelästert, REWE hat einen ohnehin gekündigten Vertrag vorzeitig beendet, eine ARD-Korrespondentin zeigt sich vor der Kamera im Regenbogen-Shirt. Und sonst?
Herr Bierhoff und der DFB verteidigen einmal mehr ihren Kotau vor Katar und der FIFA-Zensur - kein Herzchen und null Love auf einer Kapitänsbinde! Sonst: GELBE Karte. Wow!
Dabei hätten ein bisschen Kreativität und Mut(?) gereicht, um die "Drohung" der FIFA ad absurdum zu führen.
Wie, das zeigt Tobias Nordmann in einem ntv-Beitrag:
ZitatAlles anzeigenDie Kritik an der Fußball-WM in Katar war gigantisch - mit dem Anpfiff hätte sie verstummen sollen. So hatte sich das die FIFA gewünscht. Doch das Gegenteil passiert. Die Vision der perfekten Spiele wird zerfetzt, weil der Weltverband sich blamiert, wo er nur kann.
Der Traum von der "besten Weltmeisterschaft" aller Zeiten, der Traum von einem Turnier, das die Welt so noch nicht gesehen hat, wurde bereits in den ersten drei Tagen von Katar zerfetzt. Die irre Rede von FIFA-Boss Gianni Infantino, die Stadionflucht der katarischen Anhänger beim Eröffnungsspiel der eigenen Nationalmannschaft und das Verbot der "One Love"-Binde und des "LOVE"-Schriftzugs auf der inneren Kragenseite (!) des belgischen Auswärtstrikots - diese historischen Momente des Weltfußballs haben diesem ohnehin schon gigantischen Berg der Schande noch ein paar Ladungen Sand mehr aufgetürmt.
Und so stellt sich die Frage: Was ist der Titel bei dieser Weltmeisterschaft eigentlich noch wert? Und ist er so viel wert, die eigenen Ideale aufzugeben?
Mehrere große Nationalmannschaften haben diese Frage am Montag für sich mit "ja" beantwortet. Ja, die Zeit in der Wüste ist so viel wert, die eigenen Überzeugungen aufzugeben. Vielleicht nicht aus dem Inneren heraus, wie man beim DFB versuchte zu rechtfertigen, aber eben in der öffentlichen Wahrnehmung. Eine Kompromissbinde am Arm wird es nun nicht geben, aus Furcht vor einer Gelben Karte und weiteren Sanktionen, deren Ausmaß laut DFB nicht bekannt ist. Man habe aber eine "eindeutige Drohung" der FIFA erhalten, die das Verbot des schmalen bunten Stoffstücks ausgesprochen hatte, unter Berufung auf die Kleiderordnung.
Kleiderordnung statt Toleranz!
Tatsächlich kann man sich beim Weltverband mittlerweile alles vorstellen. Sogar einen Abbruch des Turniers, weil Infantino Fußballspielen plötzlich als zu politisch empfindet (kleiner Scherz, oder nicht?!). Und ja, sogar auch ein verbrecherisches Gebaren gegenüber den nationalen Verbänden. Bitter nur, dass diese sich erpressen lassen und die Eskalation vermeiden. Dialog ist gut, das ist gesellschaftlicher Konsens. Aber Dialog mit einem Verband, mit einem Verbandsboss, der seine eigenen Werte auf widerliche Weise verrät, als peinlicher Kniefall, dem die Welt an der Seite der katarischen Gastgeber plötzlich viel zu bunt ist? Das Wort der FIFA ist nichts mehr wert. Wie das der Katarer, siehe Bier-Verbot. Am Samstag bekannte Infantino noch, dass er sich "homosexuell" und "behindert" fühle, dass er das Leid der Unterdrückten nachempfinden könne, um am Montag über den Verband verkünden zu lassen, dass ein Stück Stoff nicht der Kleiderordnung entspricht! Kleiderordnung statt Toleranz!
Ja, diese absurde Wertevorstellung wird am WM-Pokal kleben, der am 18. Dezember von Infantino überreicht werden wird. Und es wird noch so viel mehr daran kleben: das Blut der verstorbenen Gastarbeiter, das Blut von misshandelten Menschen der queeren Community, der Dreck des Systems, das jeden noch so kümmerlichen Rest von Moral der Gier opfert. Und ja, es ist nicht das erste Mal in der Turniergeschichte, dass der Titel mit Tod und Brutalität beschmiert ist. 1978 in Argentinien ging die aggressive Militär-Junta auf bestialische Weise gegen Aufständische vor. Und auf Russland 2018 lag der Schatten der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion vier Jahre zuvor sowie dem russischen Kampfeinsatz aufseiten der Regierung Syriens im Syrienkrieg seit 2015. Dass Wladimir Putin damals die Bühne zur schönen Show bekam, wirkt in diesem Jahr noch absurder.
Nun gibt es bei der Frage, wie viel dieser WM-Titel noch wert ist, allerdings auch Opfer: die Spieler. Keiner von ihnen kann etwas dafür, dass das Turnier vor zwölf Jahren in die Wüste vergeben worden ist. Viele von ihnen waren damals noch große Kinder oder kleine Jugendliche. Von Fußballern den Boykott zu verlangen, die Abreise aus Katar, das ist schnell und einfach formuliert. Es ginge aber einher mit einem zerstörten Lebenstraum. Viele Spieler werden in ihrem Leben nur eine WM spielen, wobei das mit Blick auf die Gigantisierung des Turniers ab 2026, dann sind 48 Teams am Start, vielleicht auch eine überholte Erzählung ist.
Warum nicht zehn "One Love"-Binden anziehen?
Lässt sich der Kniefall vor der FIFA noch irgendwie retten? Wie mutiger Protest geht, das haben die Fußballer des Iran am Montag vorgemacht. Sie haben mit ihrem international bewunderten und gefeierten Schweigen bei der Nationalhymne das brutale Regime im eigenen Land gegen sich aufgebracht - mit unabsehbaren Folgen. Das ist die schöne, mutige Geschichte dieser dreckigen Weltmeisterschaft. Und noch ist Zeit für andere Nationen, dieser begonnenen Erzählung weitere Kapitel anzuheften. Warum nicht jedes Spiel einen anderen Kapitän benennen und einfach die Gelbe Karte in Kauf nehmen? Ein minimales Opfer in der Gesamtrechnung des Turniers. Oder aber die Farbe bunt färben? Die Fingernägel? Mehrfarbige Schnürsenkel an den Schuhen?
Warum nicht einfach Manuel Neuer die FIFA-Binde geben, die übrigens an jedem Spieltag unter einem anderen (politischen?) Motto der Toleranz steht, was ein Widerspruch zu dem aggressiven Verbotsgebaren ist, und allen anderen Spielern "One Love" über den Arm streifen? Es wäre das stärkste Zeichen der Gegenwehr in diesem verlorenen Machtspiel mit der FIFA. Selbst wenn der Schiedsrichter, und das dürfte er gemäß der Regeln, die Spieler zum Ablegen - vorerst ohne Sanktionen - auffordern würde. Das plötzliche Auftauchen der Binde unter den Trainingsjacken wäre im Weltbild - und dieser WM-Titel am Ende vielleicht doch noch wertvoller als man nach zwei gespielten Tagen glauben mochte.
Wenn dieses Turnier denn überhaupt zu Ende gespielt wird. Alles ist, leider ja, denkbar. Ein Abbruch, weil die Katarer den Spaß verlieren. Ein Verbot, weil Infantino erkennt, dass dieses Turnier zu politisch geworden ist, dass seine Vision von der besten WM schon früh zerfetzt wurde.