Merkur wohnt im fünften Haus!

  • "Das ist doch ganz klar", sagt meine Freundin triumphierend, "Löwe, Aszendent Jungfrau."
    Zweifelnd blicke ich sie an. "Und du als Steinbock hast die Situation natürlich doch noch für dich entschieden. Mit Merkur im fünften Haus!"


    Ich weiß, dass meine Freundin esoterisch angehaucht ist, aber bisher hatten wir keine Verständigungsprobleme. Und jetzt das?


    Gerade habe ich ihr von meiner missglückten PowerPoint-Präsentation bei der Vorstandssitzung erzählt, mit der ich das neue Projekt meiner Abteilung hatte vorstellen wollen. Drei Tage hatte ich investiert, dann war sie absolut perfekt gewesen. Graphiken, Tabellen und Stichwörter passgenau aufeinander abgestimmt, bestechend klar auf das Wesentliche begrenzt, immer mit griffig formuliertem Fazit resummiert. Die Überblendungen hatten sich wohltuend von den einfallslosen 0/8/15 Versionen der Kollegen abgehoben. Nicht mehr als 10 Folien und mein Vortrag dazu jeweils genau drei Minuten lang.


    Und dann war im entscheidenden Moment nichts gelaufen ... gar nichts! Beamer zu früh eingeschaltet? Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Schon kam mein Chef mir freundlich lächelnd zu Hilfe: "Wie wir alle wissen, ist das PowerPoint-Tool brauchbar, die User machen die Fehler!" Unverhohlenes Lachen, das ihn sofort zu weiteren Witzchen animierte und mir etwas Zeit gab, den Wunsch, der Boden möge sich auftun und mich möglichst lautlos verschlingen, beiseite zu schieben.


    Diese Präsentation war zu wichtig. Für diesen Erfolg hatte ich zu lange gearbeitet, war ich zu viele Kompromisse eingegangen ... um jetzt so kurz vor dem Ziel einfach aufzugeben.


    Der rettende Gedanke kam, als ich unauffällig in meiner Handtasche nach dem Lippenstift suchte und plötzlich einen dicken Faserschreiber in der Hand spürte. Während der Vorstand weiter dem Chef lauschte, der sich in seiner Rolle als Alleinunterhalter so gut gefiel, dass er mich und den drohenden Misserfolg dieser Veranstaltung ganz zu vergessen schien, gab ich meinem Mitarbeiter unbemerkt ein Zeichen. Kurze Zeit später rollte er ein Flip-Chart in den Raum.


    Verdutzte Blicke trafen mich und mein Chef, jetzt so richtig in Fahrt, nahm mit einem spöttischen: "Ach, die Technik haben Sie besser im Griff?", wieder Notiz von mir.


    Das konnte mich aber jetzt nicht mehr erschüttern. Lächelnd fing ich die skeptischen Blicke der plötzlich ganz ruhig und erwartungsvoll dasitzenden Herren auf, taxierte nur kurz die Dicke des mir zur Verfügung stehenden Schreibblocks ... und rief mir die erste Folie vor Augen.


    Genau 30 Minuten später hatte ich den technikverliebten Vorstand von meinem Projekt überzeugt, ohne Animationen und dreidimensionale, farbige Graphiken auf interaktiven Folien.


    "Siehste", sagt meine Freundin begeistert, "dein Ehrgeiz hat sich durchgesetzt, ganz Steinbock. Alles hat einen tieferen Sinn. So konntest du auch noch deine Flexibilität beweisen".


    "Du spinnst doch! Tieferer Sinn! Drei Tage umsonst gearbeitet und ich hab mich auch noch blamiert. Meine schöne PPoint-Präsentation. Alles für die Katz. Und der Chef macht sich lustig über Frauen und Technik."


    "Der kann doch gar nicht anders, früher Löwe, Aszendent Jungfrau. Der muss einfach immer im Mittelpunkt stehen, aber immer charmant. Ich kenn ihn doch!"


    "Sehr charmant. Er hat mich an die Wand gespielt."


    "Mensch, die Sterne haben dich unterstützt!" In der Stimme meiner Freundin schwingt Enthusiasmus. "Merkur im fünften Haus, was brauchst du mehr."


    Zweifelnd sehe ich sie an.



    P. S. Und jetzt schreibt Willi über seine unbekannte Macht ...


    Schlagworte: macht der sterne | erfolg | moderne medien


    Erstveröffentlichung 6. 8. 2008


    Die Erstveröffentlichung wurde durchweg als Erlebnisbericht gelesen, siehe Kommentare dort.


    Hautnah erlebt hatte ich damals nur den PowerPoint-Fetichismus, der mir gewaltig auf den Keks ging. Das Merkur-Thema kam eher zufällig dazu, weil es im Blog gerade angesprochen worden war.


    Dass schöne an fiktionalen Texten: Jeder liest etwas anderes ... und das ist auch absolut erlaubt :thumbsup:

  • Wieso hast du denn gemeint, daß deine Vorbereitung umsonst war? Wenn du das nicht gemacht hättest, hättest du am Ende auch nicht so gut improvisieren können.


    PS: Was dir glaub ich fehlt ist eine Energiepyramide und ein Ojibwa-Traumfänger. Zufälligerweise habe ich noch welche hier rumliegen. Schreib mir doch mal eine PN; ich bin sicher ich kann dir einen guten Preis machen :)

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