Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg

  • ... und verschwand



    Durch eine Leseempfehlung bin ich auf auf den Roman gestoßen und nach den ersten Seiten konnte ich ihn nicht mehr aus der Hand legen:

    Man möchte meinen, er hätte seine Entscheidung etwas früher treffen und seine Umgebung netterweise auch davon in Kenntnis setzen können. Aber Allan Karlsson war noch nie ein großer Grübler gewesen.


    Entsprechend war der Einfall auch noch ganz frisch, als der alte Mann sein Fenster im Erdgeschoss des Altenheims von Malmköping, Sörmland, öffnete und in die Rabatte stieg.


    Das Manöver war etwas mühselig - nicht unbedingt überraschend, wenn man bedenkt, dass Allan just an diesem Tage hundert geworden war. In einer knappen Stunde sollte die Geburtstagsfeier im Gemeinschaftsraum losgehen. Sogar der Stadtrat wollte anrücken. Und die Lokalpresse. Und die ganzen anderen Alten. Und das komplette Personal, allen voran Schwester Alice, die alte Giftspritze.


    So beginnt das erste Kapitel und dann überlegt Allan, ob er sich die Mühe machen sollte, noch einmal durchs Fenster in sein Zimmer zurückzuklettern, um Hut und Schuhe zu holen, aber als er feststellte, dass immerhin die Brieftasche in der Innenseite seines Jacketts steckte, ließ er es dabei bewenden. Außerdem hatte Schwester Alice schon mehrfach bewiesen, dass sie einen siebten Sinn besaß (egal, wo er seinen Schnaps versteckte, sie fand ihn grundsätzlich), und vielleicht lief sie ja gerade durch den Flur und witterte, dass hier etwas faul war. ... Also wandte er noch einmal den Kopf und warf einen Blick auf das Altersheim, von dem er bis vor kurzem noch geglaubt hatte, dass er bis zu seinem Lebensende darin wohnen würde. Und dann sagte er sich, dass er ja auch ein andermal und anderso sterben konnte.


    Er verlässt das Haus ohne Gepäck und in Pisspantoffeln (die so heißen, weil Männer im hohen Alter selten weiter als bis zu ihren Schuhspitzen pissen können).


    Der Leser begleitet Allan Karlsson auf seiner abenteuerlichen Flucht durch Schweden, die deshalb gelingt, weil Allan in den zurückliegenden hundert Jahren gerade aus scheinbar aussichtslosen Situationen immer einen Ausweg gefunden hat. Sonst wär er ja auch nicht so alt geworden.


    In Rückblenden wird die Lebensgeschichte von Karlsson erzählt, noch abenteuerlicher als die aktuelle Flucht, ein Streifzug über die Kontinente und durch die Weltgeschichte -unter ganz neuem Aspekt.


    Gefallen hat mir der ladipare Erzählstil. Allan wird gefragt, was mit dem anglikanischen Pfarrer denn nun passiert sei, der Persien missionieren wollte. Der Leser weiß es da schon und Allan muss nicht "dabeigewesen" sein, um es auch zu wissen


    "Ich weiß es nicht", antwortete Allan. "Entweder hat er bald ganz Persien anglikanisiert, oder er ist inzwischen tot. Und in diesem Fall glaube ich eher nicht, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt".

    Überzeugt hat mich auch der ganz und gar unideologische Protagonist dieses Schelmenromans. Er lehnt die Politik ab und ist doch ein sehr politischer Mensch, der sich immer einmischt. Von Revolution hält er allerdings nichts, da sie immer nur zur Gegenrevolution führt. Stattdessen plädiert er dafür, dass die Beteiligten sich bei einem Schnaps zusammensetzen sollten.


    Allan ist unangepasst, auch in widrigen Situationen letztendlich selbstbestimmt. Als er fordert, endlich mal einen Neger zu treffen, um zu sehen, was ihn von anderen Menschen unterscheidet, befindet er sich schon in der Psychiatrie, in der man ihn sofort kastriert. Bei Allan reicht das aber nicht zum Trauma. Denn selbst in der Psychiatrie bestimmt er den Gesprächsverlauf und eine Kastration hat schließlich auch Vorteile. Allan lässt sich einfach nicht "therapieren".


    Als er den ersten Neger dann endlich trifft, als Kollegen in einem Betrieb in Schweden, stellt er lapidar fest: Nur die Hautfarbe ist anders!



    Lest selbst, wenn ich euch neugierig machen konnte.

    Jonas Jonasson
    Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand.
    Carl'sbooks, München, 2011


    P. S. Das Foto vom Buchumschlag, das ich gerne hier angehängt hätte, wird leider nicht angenommen.

  • Mittlerweile ist der Stoff verfilmt worden. Ob seine skurrilen Ideen und Humor auch in Filmsprache 'rüberkommen' kann man ab heute in den Kinos überprüfen.


  • Ich möchte den ganz besonderen Stil des Buches möglichst lange genießen.

    Ich habe mich ca. 80 Seiten durch das Buch "gequält" und es dann verschenkt. Kann leider gar nicht sagen, WAS mir daran auf den Geist gegangen ist - aber es muss ja nicht Jede(r) einen Bestseller mögen.
    Der Film wird, obwohl er heute erst anläuft, sehr unterschiedlich bewertet. Vielleicht schau ich ihn an...

  • Ich hab den "Hundertjährigen" mit viel Vergnügen gelesen.


    Lapidare Sprache heißt auch einfache Sprache, die bewusst eingesetzt wird. Hinzu kommt bei Jonasson schwarzer Humor. Beides ist nicht jedermanns Sache.


    Der Nachfolgeroman Die Analphabetin, die rechnen konnte, ist nach dem gleichen Muster gestrickt, also auch gut, aber eben doch "nur" eine Wiederholung.

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