Über Hannes Wader haben wir in diesem Forum vielfach geschrieben. Seine Lieder zitiert, sein Leben reflektiert, seine Auftritte.
Ich habe ihn "live" erlebt, bei Festivals, z.B. auf Burg Waldeck, manchmal auch im kleinen Kreis. Immer hat er beeindruckt. Nicht allein durch Musikalität und Poesie , auch durch seine Wahrhaftigkeit.
Er ist sich treu geblieben, der alte Barde, und es verwundert nicht, dass er nun zu seinem 80sten ein neues Album herausbringt.
Reifes Alterswerk – „Noch hier“ von Hannes Wader
Fr. 24.6.2022 19:05 Uhr SWR2
Feuilletonist Jan Wiele schreibt in der FAZ eine lesenswerte Würdigung.
Hannes Wader : Zwischen Kokain und Kirschen
Wollte das deutsche Volkslied und die deutsche Heimatdichtung programmatisch neu beleben: Hannes Wader Bild: Wonge Bergmann
Die Wiedergeburt deutscher Volkskunst aus dem Geiste von Karl Marx: Hannes Wader legt pünktlich zu seinem achtzigsten Geburtstag ein neues Album vor.
ZitatAlles anzeigenEs regnet weiter Spätwerke. Nun legt auch Hannes Wader mit dem Album „Noch hier“ (erschienen bei Stockfisch Records) eines vor. Schon die Titel verraten die elegische Mischung aus Tanz- und Trauerliedern: „Alte Melodie“, „Schlimme Träume“, „Vorm Bahnhof“, „Um eine bess’re Welt zu schaffen, „Le temps des cerises“. Zu Kirschen hat der durchaus kauzige Wader ein besonderes Verhältnis: Sie sind das einzige Obst, das er liebe, schreibt er in seiner Autobiographie, während er ansonsten keinerlei Obst und Gemüse esse, sondern nur Fleisch. In die Zeit der Kirschen fällt nun auch sein achtzigster Geburtstag, und natürlich ist das ihn begleitende Album auch eine Lebens- und Werkschau.
Waders direkte, manchmal bissige und knallharte Art, Dinge zu sagen und zu singen, äußert sich auch in dem neuen Lied „Es ist vorbei“. Es gibt dem Wandersmann-Topos der internationalen Volksmusik einen sehr persönlichen, aufs Herz zielenden Stich, der auch durch Waders Belcanto-Singstil kaum weniger schmerzhaft wird. Das ebenfalls zu Herzen gehende „Es dunkelt schon in der Heide“ kann kaum anders denn als Reflex auf die Dämmer-Metaphorik der Spätwerke etwa Leonard Cohens und Bob Dylans verstanden werden. Von Dylan war Wader stark inspiriert, als er in den sechziger Jahren die geschichtenerzählerische Form des „Talking Blues“ ins Deutsche überführte und dabei im Laufe seiner Karriere so schillernde Werke wie den „Talking Böser Traum Blues“, die Amok-Phantasie „Der Tankerkönig“ oder das von einer Amerikareise inspirierte „Hotel zur langen Dämmerung“ hervorbrachte: wilde Textritte zwischen Wirklichkeit und Wahn, grundiert vom unverrückbaren Gitarrenzupfmuster.
Aber das neue Album zeigt auch die anderen Seiten des Liedermachers, der das deutsche Volkslied und die deutsche Heimatdichtung programmatisch neu beleben wollte, nur ohne Deutschtümelei, und der mit „Heute hier, morgen dort“ einen Folk-Klassiker geschrieben hat, der wohl so lange Bestand haben wird wie die Traditionals, die Wader sonst singt. Schon als Kind sei er fasziniert gewesen von der heiteren Melodie und dem melancholischen Text eines Lieds wie jenem über fünf wilde Schwäne, von denen – „sing, was geschah?“ – keiner je wieder gesehen ward. Das wilde, teils revolutionäre Aufbegehren, das Wader in Arbeiterliedern zum Ausdruck gebracht hat und ins Engagement für Bergmänner, rastlose Jugendliche sowie die Kommunistische Partei münden ließ, findet ebenfalls noch einmal Anklang im frischen Bahnhofslied, in dem mehrmals und ausführlich Karl Marx zitiert wird.
Hannes Waders Ausflüge zum humoristischen und kabarettistischen Song, die ihm mit „Kokain“ einen von Radiosendern gemiedenen, aber von einer ganzen Jugend gesungenen Alternativ-Hit bescherten („Papa, hattu Kokain?“), begegnen hier noch einmal bei einer traumhaften Annährung an Bob Dylans Haus, auf der Suche nach dessen Ideen und Aufzeichnungen, und mit der gewagten Vorstellung, auch Dylan sei um Waders Haus geschlichen auf der Suche nach Inspiration.
Waders eigene Heimat ist Westfalen; das hat seine Lieder vielfach beeinflusst, aber die Jahre in einer alten Mühle in Schleswig-Holstein und die späteren in Kassel ebenso. Neben seinem Faible für Plattdeutsch, das manche Songs hervorgebracht hat, steht seine Verehrung älterer Dichter, die ihn vom Freiligrath-Motto „Trotz alledem“ (das ja seinerseits schon von Robert Burns abgeleitet ist) bis zu Hölderlin geführt hat, dessen Verse zwischen „Die Nacht“ und „An die Parzen“ nun sein Alterswerk einrahmen.
Und beim Kirschenlied singt Reinhard Mey mit, der Wader seit den frühen Sing-Erfolgen auf Burg Waldeck freundschaftlich verbunden ist: ein schöner Gruß zu Waders heutigem Geburtstag.
FAZ
Glückwunsch und noch viele Jahre, Hannes!