Sippenhaft - oder Inquisition 2.0

  • Na, heute schon kräftig draufgekloppt?

    Gibt doch genügend Ziele, die sich zum Verprügeln eignen. Naserümpfen wird sicherlich auch akzeptiert ... solange es denn ÖFFENTLICH geschieht.

    Social Media sind die nicht mehr ganz neuen Knüppel und Peitschen , die man zu diesem Zweck benutzen und dabei selber ganz ungeschoren davonkommen kann.


    Natürlich ist "die Ukraine" der Anlass, weshalb ich schreibe, was denn sonst. Gibt es überhaupt ein anderes Thema?

    Dabei hatte sich bis vor wenigen Tagen kaum eine Wutz für dieses Land , irgendwo da unten im Südosten, interessiert. Noch viel weniger für dessen Geschichte und seine Menschen. Allenfalls hat man bei den Stichwörtern "Tschernobyl" und "Maidan" im Gedächtnis gekramt und genickt - da war mal was.


    Aber jetzt weiß natürlich Jede/r genau Bescheid: "Die Ukrainer", das sind Helden, "Der Russe" -wahlweise der "Russki"- ein saufendes, brutales, Kriegführendes Arschloch.

    Aha.


    Und weil das so ist, und weil wir in Zeiten allgemeiner öffentlicher Selbstentblößung leben, kann es kaum verwundern, dass die "Russkis" sich nun mit der kategorischen Forderung konfrontiert sehen, öffentlich Bekenntnis abzulegen.


    Da genügt es nicht, den Krieg gegen die Ukraine zu verurteilen; auch nicht, ihn als Verbrechen zu kennzeichnen. Oh nein.

    Es gilt, zusätzlich Rechenschaft und Rechtfertigung zu präsentieren, wann und warum man sich denn mit dem Herrn Putin getroffen, gescherzt, gespeist und gefeiert habe, ihn möglicherweise immer noch -weshalb auch immer- schätze.

    Zwei musikalische Berühmtheiten wurden deshalb bereits Medienwirksam(!) gefeuert.

    https://www.nzz.ch/feuilleton/putins-kuenstler-ld.1672107

    https://www.sueddeutsche.de/me…j-theater-putin-1.5539020


    Oft reicht aber aus, russische Wurzeln zu haben. Manchmal sogar nur , russische Waren zu verkaufen.

    https://www1.wdr.de/nachrichte…kt-in-oberhausen-100.html


    Gefährlich ist auch, heimatlich-russische Speisen und Spezialitäten zuzubereiten und zahlenden Gästen zu kredenzen.

    Mag es noch so köstlich geschmeckt haben, zur Strafe für die Herkunft gibt's Beschimpfungen, Boykott oder schlechte Bewertungen -neudeutsch Shitstorm- im Internet.


    https://www.24rhein.de/koeln/i…itzerin-nrw-91387024.html

    https://www.ksta.de/koeln/inne…nd-solidaritaet--39509646


    Ha! Diesen Russkis haben wir's mal gezeigt!!

    ?????


    Nee, Leute! Da mache ich nicht mit.

    Am Wochenende gönne ich mir Speisen aus dem russischen Restaurant und dazu ein Konzert mit dem Jugendsymphonieorchester der Ukraine

    https://www.arte.tv/de/videos/…nieorchester-der-ukraine/

    :P

  • Nachtrag


    Zitat

    ... sollte man sich in der aufgeheizten Situation vor moralischem Rigorismus hüten, andernfalls droht eine Hexenjagd. Schon jetzt gibt es politischen Druck auf Veranstalter, nunmehr allen vermeintlich oder erwiesen Putin-nahen Künstlern ihre Auftrittsmöglichkeiten im Westen zu nehmen. Wer aber entscheidet darüber, was «nah» oder «zu nah» ist? In einem Land mit Kunstfreiheit kann dies nicht Aufgabe des Staates sein, das moralische Abwägen muss der freien Entscheidung der Veranstalter überlassen bleiben.


    Gleichzeitig stellt der Rigorismus viele Russen vor ein Dilemma, dem sich zahllose Künstlerinnen und Künstler ähnlich schon in Deutschland nach 1933 ausgesetzt sahen: Ein offener Bruch mit dem jeweils herrschenden Regime kann nicht nur Exil und persönliche Bedrohung bedeuten, sondern darüber hinaus eine Gefährdung von Angehörigen, die in der Heimat bleiben müssen.


    Der Rückzug in die vermeintlich «apolitische» reine Kunstausübung, wie er sich auch in Netrebkos Statements andeutet, wurde schon damals als Ausweg versucht, unter anderem von Grössen wie Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler. Sie arrangierten sich mit den Machthabern und ernteten Kritik im Ausland; aber sie kamen damit durch. Die Nachwelt hingegen verzeiht solche Arrangements selten. Sie haften auf Dauer als Makel an den Biografien.


    Quelle: NZZ

  • "Kontraproduktiv: Russland-Boykotte ohne Augenmaß

    04. März 2022 Roland Bathon


    Zielgerichtete Sanktionen können Putins Regierung in Russland schwächen. Hysterische Totalboykotte haben jedoch den gegenteiligen Effekt

    Ziel von Sanktionen und Boykotten

    Angesichts der russischen Invasion in die Ukraine ist eine Isolierung der russischen Politik und sind auch harte Sanktionen gegen die russische Wirtschaft unerlässlich. Russlands Präsident Putin hat mit einer Angriffsentscheidung, die nach Meinung zahlreicher Experten auf ihn persönlich zurückgeht, gezeigt, dass er eine harte Sprache sprechen will. Hart muss auch die Antwort sein.


    Dennoch verlangt jede Reaktion auch Augenmaß. Mit einem Einlenken der russischen Regierung rechnet keiner. Ein Kalkül ist, die in der Kriegsfrage gespaltene russische Gesellschaft aufzuwiegeln und über eine wachsende soziale Unzufriedenheit der kriegsauslösenden Regierung ihre Unterstützung zu entziehen. Tatsächlich sind soziale Unruhen eine große Angst der Mächtigen im Kreml.

    Russische Kinder erklären keinen Krieg

    Solche Proteste können aber nur entstehen, wenn Sanktions- und Boykottmaßnahmen zielgerichtet sind. Und umso weniger, je mehr sie in einen Bereich des undifferenzierten Russenmobbings abdriften. Ein solches ist spätestens dann der Fall, wenn Firmen wie Playmobil oder Lego politisch begründet aufhören, Produkte für Kinder nach Russland zu liefern.


    Etwa gleich kontraproduktiv ist es, wenn jetzt reihenweise Musiker wie Iggy Pop oder Green Day ihre Konzerte in Russland absagen. Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass ihr Publikum vor Ort vor allem aus jungen, liberalen, weltoffenen Russen besteht, die sie durch ihr Boykottverhalten mit einer immer reaktionärer werdenden, konservativen und alles aus dem Westen ablehnenden Führungsschicht alleine lassen.


    Wenn zur Begründung Aussagen wie von Green Day kommen, es ginge angesichts des Ukraine-Kriegs "aktuell um mehr als Stadionshows" muss man dem zustimmen. Aber Shows westlicher Künstler in Russland sind bereits Teil von etwas, das tatsächlich mehr ist und dem Nationalismus anderer Kreise dort etwas entgegengesetzt.

    Vom Paketstopp zum Katzenboykott

    Die Abriegelung Russlands von außen unter Federführung des Westens geht noch weiter. Selbst Pakete können aktuell per DHL oder UPS wegen des gegenseitigen Luftboykotts nicht verschickt werden. Die Swift-Abkopplung stoppt auch die Möglichkeit, in Russland lebende Verwandte und Freunde dort in schlechter werdenden Zeiten zu unterstützen.


    Und gerade für innerrussische Gegner des neuen Kriegskurses brechen besonders harte Zeiten an. Erste Kündigungen aufgrund einer in Russland offen gezeigten Kriegsgegnerschaft gibt es bereits, beispielsweise im Fall des umgehend entlassenen Dirigenten eines bekannten Moskauer Musikfestivals.


    Die endgültige Idiotie fängt an, wenn man liest, dass sogar der Weltkatzenverband Russland boykottieren will. Und ganz widersinnig ist es, wenn die Kiewer Regierung tatsächlich fordert, Russland aus dem globalen Internet auszuschließen. Ist es doch hinlänglich bekannt, dass gerade Russen, die sich online auch mit Informationen aus dem Ausland versorgen, der eigenen Regierung wesentlich kritischer gegenüberstehen, als die Konsumenten dortiger Staatsmedien in TV und Radio. So würde diese Maßnahme jede politische Opposition in Russland schwächen.

    Hysterie spielt Russlands Mächtigen in die Hände

    Das russische Außenministerium wittert auch bereits die Chance, hier von einer antirussischen Hysterie im Westen zu reden. Jede übertriebene und für viele nicht nachvollziehbare Maßnahme ist für Russlands Mächtige ein willkommener Anlass, davon abzulenken, dass die Hauptursache der neuen Russophobie im Westen ein Angriffsbefehl der Symbolfigur des russischen Establishments auf das Nachbarland war.


    Die russische Bevölkerung wird man mit kaum nachvollziehbaren Sanktionen und Boykotten, die sie nur selbst treffen und nicht ihr politisches Establishment, kaum davon überzeugen, dass ein Aufstehen gegen die Regierung angesagt ist. Putin geht weder zu Iggy Pop noch spielt er mit Lego. Mit solchen Maßnahmen könnte es eher zu einer Solidarisierung der Bevölkerung mit ihrer Regierung unter den härtesten Umständen einer scheinbaren Schicksalsgemeinschaft kommen."



    (Roland Bathon ist Autor bei Telepolis und des Sachbuchs "Putin ist nicht Russlands Zar" - weitere Infos unter www.journalismus.ru)


    Quelle: Telepolis

  • Noch ein Beispiel:

    Die Arbeit des Vereins mit Kölns Partnerstadt Wolgograd ist von der Stadtverwaltung fürs Erste eingefroren worden.

    Der Verein äußert Unverständnis für diese Maßnahme und sieht die russischen Freunde ungerechtfertigt bestraft.



    Wolgograd-Verein Köln - Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd e.V.

    Wolgograd-Verein Köln - Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd e.V.

    Dem Frieden verpflichtet – Krieg ist keine Lösung

    Wir als Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd e. V. sind solidarisch mit den Opfern der Gewalt und verurteilen entschieden den Angriff Russlands auf die Ukraine. Er widerspricht diametral unserem Vereinsziel zur Völkerverständigung. Auch unabhängig von unserer Arbeit lehnen wir Krieg – zumal Angriffskrieg – als Mittel der Politik ab, weil er immer großes Leid über die Menschen und Zerstörungen mit sich bringt.

    Gerade jetzt treten wir für eine Fortsetzung des Dialoges mit der Zivilgesellschaft in unserer Partnerstadt Wolgograd (ehemals Stalingrad) ein. Solche Kontakte sind besonders in politischen Krisenzeiten von besonderer Bedeutung. Dafür steht prominent die Kölner Unterstützung für die heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter*innen in Wolgograd, die unsere Hilfe auch und gerade jetzt weiter brauchen.


    Eva Aras

    (im Auftrag des Vorstandes)


    https://wolgograd.de/

  • Die Eskalation ist von unserer Seite durchaus mehr gewollt als von Russischer. Wer meint die Bürger der Ukraine wären mehr wert als politisches Kapital zur Instrumentalisierung, der ist ein Schwachkopf, der nichts aus der Geschichte gelernt hat. Die von Politik und Medien befohlene Ächtung von allem Russischen ist ein konformistischer Zwang um die Bürger in unseren Gefilden auf Linie hinter ihre inkompetenten Regierungen zu bringen. Scheiss auf Meinungsfreiheit.


    Sportler, Künstler, Studenten, Kinder...diejenigen, die am wenigsten dafür können werden einfach mitbestraft. Das schafft schonmal vorsorglich Konfliktpotential für die Zukunft. Gute Geschäftsperspektiven für alle Rüstungsfirmen, vor allem in den USA.


    Ethisch mag ich den Sanktionen stellenweise sogar nachvollziehen, aber moralisch sind sie alle verwerflich. Wenn wir Kriegsverbrecher bestrafen, dann sollte das für alle Kriegsverbrecher gelten und nicht nur für die selektiven Feinde des Westens. Man stelle sich vor unsere Oligarchenclique würde so eine Hysterie bei einem US-amerikanischen Angriffskrieg lostreten. Ausschluss der USA von den olympischen Spielen, Schließung aller McDonaldsfilialen, die Bundeswehr umstellt die Stützpunkte der US-Armee und beschlagnahmt die Atomwaffen in der Eifel, Auftrittsverbot amerikanischer Popstars, Ausschluss der USA aus Swift, Einstellung des Handels...HAHAHA


    Wir marschieren weiter stramm in Richtung eines neuen, autoritären Zeitalters. Aber genau das ist ja was sich die Masse der Dummdödelmenschen angesichts schier endloser Krisen wünscht.

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