Sebastião Salgado - "Meine Sprache ist das Licht"




  • "Meine Sprache ist das Licht"

    Sebastião Salgado -

    der erste Fotograf, der den Friedenspeis des Deutschen Buchhandels erhalten hat.

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    Als erster Fotograf ist Sebastião Salgado mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Seine emotionale Dankesrede war ein Appell an uns alle, die Augen nicht zu verschließen - vor Kriegen, Vertreibung, dem Klimawandel und der Abholzung des Amazonas.



    Bei der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter Paulskirche ließ Sebastião Salgado am Sonntag sein gesamtes Fotografenleben Revue passieren. Es sei seine Lebensaufgabe gewesen Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben. Salgado nahm die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine Reise zu den verschiedenen Stationen seines Lebens. Zu den Arbeitsmigranten in Frankreich, die vor den Koloninalkriegen in Afrika geflüchtet waren, oder zu den Touareg, die ihre fruchtbaren Gebiete nach großen Dürrenzeiten verlassen mussten. Mit ihnen allen wolle er den Preis teilen, sagte der Brasilianer.


    Dank sagte er den Ureinwohnern Lateinamerikas, die ihn in seiner Mitte aufnahmen und es zuließen, dass er ihr Leben dokumentierte. Sechs Monate verbrachte er mit ihnen, getrennt von der eigenen Familie. "Ich war bereit diesen Preis zu zahlen." Die Gemeinden sind heute Geisterdörfer - Salgados Fotos halten die Erinnerung an das Leben dort wach. "Meine Sprache ist das Licht. Denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt."


    1994 dokumentierte Salgado die Gräuel des Völkermords in Ruanda. "Ich konnte nicht aufhören zu fotografieren. Ich wollte, dass die Bilder Zeugnis ablegen über das Grauen, das sich vor meinen Augen abspielte und das die Weltgemeinschaft wissentlich ignorierte." Ein Einsatz, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Ein Grundschuldirektor rettete ihn, indem er ihn zu einer überstürzten, nächtlichen Abreise drängte mit den Worten: "Sie wollen dich töten." Bei der Schilderung seiner Erinnerungen kamen dem 75-Jährigen immer wieder die Tränen.


    Was Salgado in Ruanda gesehen und fotografiert hatte, stürzte ihn in eine tiefe Krise. In den Folgejahren hatte er das Bedürfnis, sich der Reinheit der Umwelt und der Natur zu widmen. Aktueller denn je ist sein Kampf für den Erhalt des Amazonas und der dort lebenden indigenen Völker.


    Neue Wege des Zusammenlebens finden
    Die schrecklichen Zeichen unserer Zeit seien Vertreibung, Flucht, Deportation und Entwurzelung ganzer Kulturen. "Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden", so Salgados Appell an uns alle. "Um eine andere Zukunft zu errichten, müssen wir die Gegenwart verstehen. Meine Fotos zeigen diese Gegenwart und so schmerzhaft der Anblick ist, wird dürfen den Blick nicht abwenden.
    Salgado schloss seine Dankesrede mit einer Liebeserklärung an seine Ehefrau Lélia, die nicht nur "die schönste Frau" sei, "die ein Mann im Traum finden, küssen und heiraten" könnte. Auch beruflich arbeitet das Paar zusammen: Lélia Deluiz Wanick Salgado gestaltet seine Bücher. Wichtiger noch, Salgado sieht in seiner Frau seine Lebensretterin: "Lélia hat mir durch ihre Liebe das Leben gerettet, als ich aus Ruanda kam, ein gebrochener Mann, heimgesucht vom Blut und vom Tod, dem ich begegnet war." Mit den Worten "liebe Lélia, dieser Preis gehört genauso Dir wie mir", endete Salgados Rede und in der Paulskirche flossen in diesem Moment bei einigen Anwesenden die Tränen.


    Fragilität der Welt sichtbar machen
    Erstmals wurde ein Fotograf mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte, Poesie und Fotografie "beschreiben die Fragilität der Welt auf ihre eigene Weise". "Beide Künste scheinen die Zeit aufzuheben und rühren uns gerade deshalb so sehr an." Salgado sei ein Fotograf, dessen subjektive Sichtweise eher mit der eines Literaten als eines Berichterstatters vergleichbar sei. Seine Bildersammlungen erzählten "von einer Menschheit, die kurz davorsteht, sich selbst die Lebensgrundlage zu nehmen".


    Wenders: "Die Hölle und das Fegefeuer durchquert"
    Die Laudatio auf Salgado hielt Filmregisseur Wim Wenders, der den Fotografen 2014 in seinem Dokumentarfilm "Salz der Erde" porträtierte. "Uns an der Schönheit und Erhabenheit der Erde so teilhaben zu lassen, das kann nur einer, der vorher ihre Abgründe geschaut hat, der die Hölle und das Fegefeuer durchquert hat, und der dem Horror selbst ins Auge geschaut hat, zu dem Menschen fähig sind", sagte Wenders. Wenn Salgado fotografiere, sei das ein Akt der Empathie, keiner der Distanzierung. "So einem Blick kann man trauen." Salgado male oder zeichne mit Licht. Seine "Lichtgemälde" führten einem dem "großen Frieden, nach dem sich unser Planet sehnt, vor Augen".


    Einige von Salgados Bildern seien längst zu "Ikonen unserer Zeit" geworden - so zum Beispiel die Pinguine, die sich "wonnevoll ins Meer stürzen". Wenders betonte am Ende seiner Laudatio, Salgdo wäre, auch wenn er kein einziges Foto gemacht hätte, ein Held des Friedens. "Dann würden die fast drei Millionen Bäume für Dich sprechen, die Du mit Hilfe von Lélia gepflanzt hast."
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    Quelle:hessenschau.de/kultur

    [video]http://www.youtube.com/watch?v=t8SGrKdWRhQ[/video]
    "Das Salz der Erde"

  • Noch eine Würdigung, die ich sehr gern in voller Länge hierher kopiere



    Sebastião Salgado: Ein Humanist des Blickes
    Vom Kriegsfotografen zum Bewahrer der Schöpfung: Dass Sebastião Salgado den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, ist eine zutiefst politische Entscheidung.
    Von Björn Hayer
    18. Juni 2019, 20:54 Uhr Aktualisiert am 20. Oktober 2019, 9:07 Uhr


    Der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels: Sebastião Salgado (hier im Jahr 2017) vor einer seiner Fotografien © DDP Images
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    Das Leid ist in der Welt, es hinterlässt Spuren in den Gesichtern und an den Körpern von Menschen, und wenn man diese Spuren in Fotografien abgebildet findet, stellen sich immer Fragen: Wird dem Menschen, der da gezeigt wird im Augenblick der Verletzlichkeit, die Würde gelassen? Ja, wird ihm scheinbar überhaupt erst die Würde in der und durch die Fotografie zurückgegeben? Oder wird sie ihm, der doch um die eigene Würde ringt, schlimmstenfalls geraubt?


    Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado, der, wie nun bekannt gegeben wurde, in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, muss sich diese Fragen oft selbst gestellt haben beim Auslösen seiner Kamera. Etwa, als er in den Neunzigerjahren die halbe Welt bereist hat, um Flüchtende zu fotografieren in Afrika, Südamerika, Asien, dem damals auseinanderbrechenden Jugoslawien. So verschieden die Gründe waren, weshalb die Menschen auf diesen Bildern ihre Heimat verlassen mussten, so sehr einte sie diese Verlusterfahrung. Das Buch, in dem Salgado schließlich diese Bilder vereinte, ist eines seiner Hauptwerke: Migranten hieß es bei der ersten Veröffentlichung im Jahr 2000, und als Salgado es im Jahr 2016 erneut auflegen ließ, im Lichte der damals sogenannten Flüchtlingskrise, änderte er den Titel in Exodus. Das Leid ist in der Zwischenzeit nicht verschwunden. Es hat Spuren in neuen Gesichtern und an neuen Körpern hinterlassen.


    Mit Mitte 20 war Sebastião Salgado selbst geflüchtet: Im Jahr 1969 emigrierte er gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Pianistin Lélia Deluiz Wanick, angesichts der Militärdiktatur in seinem Heimatland nach Paris. Salgado hatte Wirtschaftswissenschaften studiert, ein Job bei der Internationalen Kaffeeorganisation brachte ihn dann erstmals nach Afrika. Dort erst begann er mit dem Fotografieren. Er kehrte dann auch für eines seiner ersten großen Projekte zeitweise nach Brasilien zurück, in den Achtzigerjahren, für eine Dokumentation über Goldminenarbeiter in der brasilianischen Serra Pelada. Die Bilder lassen einen als Betrachter an Dante'sche Höllenschlunde denken, sie sind beklemmende Zeugnisse von Gewalt und Armut. Salgado hat später die Spuren des Völkermordes in Ruanda ebenso fotografiert wie die des Irakkriegs: Im Jahr 1991 fotografierte er etwa die weit in den Himmel reichenden Rauchsäulen, die die von irakischen Truppen in Brand gesteckten Ölquellen in der Wüste Kuwaits produzierten.


    Als Aktivist gibt Salgado sein Land der Natur zurück
    An den Arbeiten des strikt in Schwarz-Weiß fotografierenden Salgado berührt vor allem, wie sich in den Aufnahmen zunehmend eine wachsende Verzweiflung des Fotografen einschrieb über die Ungerechtigkeit der Welt. Salgado schien die Gesichter der Verelendung irgendwann kaum noch zu ertragen, jedenfalls nicht, ohne nicht selbst früh aktivistisch tätig zu werden – in afrikanischen Entwicklungshilfeprogrammen, bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen und später zunehmend in Belangen des Naturschutzes. Salgado hat das Farmland der eigenen Familie in Brasilien, das einst durch Abholzung entstanden war, gleichsam der Natur zurückgegeben: Er hat dort nach eigenen Angaben rund 2,5 Millionen Bäume anpflanzen lassen und so den Wald zurückgeholt auf das von menschlicher Bewirtschaftung ausgelaugte Land.


    Dass das Spätwerk dieses Humanisten des Blickes vor allem im Zeichen der Naturfotografie steht, darf man daher nicht als eskapistische Wende begreifen. Im Gegenteil: Es ist ein Weckruf, ein Appell zum Hinsehen. So nahm Salgado in seinem 2013 erschienenen Bildband Genesis die Erhabenheit unterschiedlichster Landschaften in den Blick. Ob Panoramen von Gebirgen und Gletschern, Aufnahmen rauchender Krater oder einsamer Steppen vor einem schier endlosen Horizont – Salgado mühte sich, die Natur in Bildern von monumentaler Schönheit festzuhalten. "Ich bin nicht als Journalist oder Wissenschaftler oder Anthropologe an das Projekt herangegangen", schreibt er im Vorwort des Buches. "Mit Genesis folgte ich dem romantischen Traum, eine unberührte Welt zu finden – und zu zeigen –, die unseren Blicken nur allzu oft entzogen und für uns unerreichbar ist (…). Meine früheren Projekte (...) waren Reisen durch Irrungen und Wirrungen der Menschheit. Dieses hier ist meine Hommage an die Größe der Natur."


    Nachdem die Debatte um den Klimawandel jüngst eine neue Dynamik bekommen hat, wirkt die Vergabe des Friedenspreises an Salgado wie die richtige Wahl zur Stunde. Der Stiftungsrat, der über den Preisträger entscheidet, hat damit auf vielfältige Weise eine dezidiert politische Entscheidung getroffen: Er zeichnet zum ersten Mal einen Fotografen mit dem Friedenspreis aus, einen Künstler, dessen Arbeiten immer auch politisch waren, ob sie Menschen in Not oder gefährdete Natur zeigten; und einen Aktivisten, der sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Frieden begreift Salgado als einen umfassenden Begriff: Soziale Konflikte, ebenso wie der Raubbau an der Umwelt, gründen seiner Sichtweise nach auf dem gleichen Nährboden, auf Ausbeutung und Expansionsstreben. So heißt es auch in der Begründung des Stiftungsrates entsprechend, Salgado sei ein Künstler, "der mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden fordert und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit verleiht".


    Salgado, dessen Werke einem größeren Publikum insbesondere durch Wim Wenders Dokumentarfilm Das Salz der Erde (2014) bekannt wurden, wurde immer mal wieder der Vorwurf gemacht, er ästhetisiere menschliches Leid und die Zerstörung der Natur. Die Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels lässt sich nun auch als eine souveräne Antwort an Salgados Kritiker ansehen. Denn was seine zweifellos expressiv-elegante Darstellungsweise bis heute auszeichnet, ist gerade die Betonung der Würde. Die Größe der Kunst, wie Salgado sie schafft, zeigt sich eben auch darin, das Bild eines Hungernden oder gar Sterbenden nicht einem voyeuristischen Blick auszuliefern. Selbst wenn er Menschen im Augenblick völliger Ohnmacht fotografiert, weiß Sebastião Salgado die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen hervorzuheben. Nicht ihr Schicksal macht sie gleich. Sondern ihr individuelles Recht auf Würde, das die Fotografien Salgados einfordern.
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    zeit.de/kultur/2019-06

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