Benjamin Black, Nicht frei von Sünde

  • Gelesen habe ich den Roman, weil sich hinter Benjamin Black John Banville versteckt.
    Der Klappentext verrät außerdem, dass in diesem ersten "Krimi" von Banville ein Pathologe die Hauptrolle spielt. Ein Pathologe, der normalerweise Leichen aufschnibbelt und nach Todesursachen, aber nicht nach Tätern sucht?


    Dafür ist Quirke, Chefpathologe eines renommierten katholischen Krankenhauses in Dublin, genau der richtige Mann. Er liebt die Ruhe der Toten, ist fasziniert von ihren Rätseln. Ihre Körper erscheinen ihm wie vollendete Marmorstatuen.

    Als er nachmitternächtlich recht mitgenommen von einer Abschiedsfeier in dem ruhigen Dunkel seiner Katakombe auftaucht, "erschreckt" ihn nur die Anwesenheit seines Schwagers, der da eigentlich nichts zu suchen hat. Und er geht der Sache nach.

    Es wird eine Suche, die ihn quer durch Dublin führt, zur reichen Oberschicht, der er selbst angehört -immer schnieke gekleidet und hofiert, selbst wenn er nach vormals schlimmeren Zeiten gerade "nur" den dritten Drink am Wickel hatte, aber auch zu den Ärmsten der Armen, denen sein Mitgefühl gehört.

    Man sieht Quirke seine Schwächen nach, er ist ehrlich, oder versucht es zumindest zu sein, er ist kritisch und selbstkritisch. Er wühlt sich durch komplexe Beziehungs- und Machtstrukturen, in deren Geflecht er selber festhängt.


    Lesenswert ist die Geschichte aber auch, weil es ein echter Banville ist. Die vielen unterschiedlichen Personen sind einfühlsam geschildert und die Handlung plätschert nur scheinbar locker dahin, wenn plötzlich der Schnee in Boston beschrieben wird, oder das Unterschicht-Mittelschicht-Pärchen, das verzweifelt nach Glück und Geborgenheit sucht.
    Tatsächlich sind die Handlungsstränge zielsicher verwoben. Immer wieder geht es um die Macht, die verführt, nur weil man sie hat.

    Manchmal hatte Quirke fast das Gefühl, dass ihm tote Körper lieber waren als lebendige. Ja, er hegte eine tiefe Bewunderung für die Körper von Toten, diese wachshäutigen, weichen, plötzlich zum Stillstand gebrachten Maschinen. Auf ihre Weise waren sie vollendet, ganz gleich, wie verletzt oder verwest sie waren, und mindestens so beeindruckend wie eine alte Marmorstatue. Außerdem hatte er den Verdacht, dass er ihnen immer ähnlicher wurde, dass er gewissermaßen einer von ihnen wurde. Er starrte auf seine Hände, und es kam ihm so vor, als hätten sie die gleiche schlaff geschmeidige, poröse Textur wie die Leichen, an denen er arbeitete, als sickerte langsam, aber sicher etwas von ihrer Substanz in ihn hinein. ... Für ihn war der Funke des Todes kein bisschen weniger lebendig als der des Lebens.
    ... Die Obduktion hatte nur das bestätigt, was er, wie ihm jetzt erst bewusst wurde, ohnehin bereits vermutet hatte. Doch was sollte er mit diesem Wissen anfangen.*

    Das fragt sich auch der Leser, dem Quirkes Wissen lange ein Rätsel bleibt.


    Benjamin Black, Nicht frei von Sünde
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007


    *S. 72f.





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