Peter Finkelgruen in Köln


  • Peter Finkelgruen ist 1942 im Ghetto von Shanghai geboren.


    Am letzten Mittwoch war er vom Verband „Information und Beratung für NS-Verfolgte“ nach Köln eingeladen worden. Dort findet in zweiwöchigem Rhythmus ein Begegnungscafé statt, und alle 2 Monate lädt man einen Referenten ein.


    Die wenigsten wissen, dass die „freie Stadt“ Shanghai, in die man ohne Visum, ohne irgendwelche Papiere einreisen konnte, wenn man denn Transfermöglichkeit gefunden hatte, eine Art Ghetto hatte. Ein Ghetto ohne Mauern, sagt Finkelgruen, denn: man erkannte die Juden ja am anderen Aussehen. Sie waren groß, hatten große Nasen und eine andere Hautfarbe.


    Das Ghetto, ein Stadtteil gewissermaßen, durfte nicht verlassen werden, und alle hielten sich daran. Der Stadtteil hieß Hongkew.


    Wie kam es zu dieser Ghettoisierung? Man wird es kaum glauben: wo weder Einreisebestimmungen noch die Notwendigkeit eines Visums bestanden, dort gab es den Einfluss des Deutschen Generalkonsulats. Dieses hatte erfolgreich bei Japan die Errichtung eines Ghettos durchgesetzt. Die Bedingungen dort waren nicht denen eines Warschauer Ghettos gleichzusetzen, aber gut waren sie auch nicht. Finkelgruens Vater verstarb im Ghetto.


    Ein deutscher General namens Meisinger soll sogar noch mehr und enormen Einfluss auf die Japanischen Behörden gehabt haben. Er hatte sich als hoher deutscher Offizier per U-Boot nach Shanghai bringen lassen. Mit den Japanischen Behörden soll er sogar eine „Endlösung“ für die in Shanghai befindlichen Juden erörtert haben, z.B. die „Schiffsbeladung mit Juden“ – die Schiffe sollten die Juden dann auf dem offenen Meer über Bord werfen.


    Unbekannt war den meisten Zuhöreren des „Cafés“ auch, dass es vor Ort eine Auslandsorganisation (AO) der NSDAP gab: die NSDAP AO. Deren „Deutsche Gemeinde“ umfasste an die 8000 Personen und war so strukturiert wie die eigentliche Partei, mit HJ und allem, was die Partei so ausmachte.




    Im Alter von 4 Jahren erreicht der kleine Peter Finkelgruen mit seiner Mutter Prag. Die Großmutter, die drei Jahre KZ überlebt hat, ist noch dort. Seine Mutter stirbt, und die Großmutter will nicht länger in Prag bleiben.


    Sie wandern nach Israel aus, und zwar 1951. Dort ist aus verständlichen Gründen die deutsche Sprache unerwünscht (um diese Zeit). Peter besucht das Gymnasium und lernt schnell die neue Sprache.


    Parallel zum Schulbesuch bildet sich bei ihm eine bewusstere Wahrnehmung politischer und sozialer Umstände heraus, die seinen Lebensweg beeinflussen soll und wird.


    Die Tatsache, dass die Großmutter nach wie vor nur deutsch spricht, lässt Oma und Enkel nach dessen Abitur eine weitere schwer wiegende Entscheidung treffen: 1959 reisen sie nach Deutschland aus.


    Der Tag der Ankunft am Flughafen Frankfurt/M. löst insbesondere bei der Großmutter starke Angstgefühle aus. Der Enkel aber will studieren, und so setzt man sich über vieles hinweg, das Deutschland in den 50er Jahren kennzeichnet:


    Die Auseinandersetzung mit einer großen Zahl Vertriebener, Spätheimkehrer, z.B. aus russischer Gefangenschaft


    Das Gefühl, dass viele Deutsche noch „voll des Giftes aus der Zeit des 3. Reichs sind“ (Zitat Finkelgruen).


    Erst die 68er Revolte, so meint F., habe zu einer geistigen Revolte geführt, zur Auflehnung gegen das Gefühl, dass die Eltern allzuviel verheimlichen…


    Finkelgruen ergänzt an dieser Stelle, dass seiner Meinung nach ab ca. 1990, nach der Wiedervereinigung, ein Ruck durch die Generationen gegangen sei: Die Alten begännen zu erzählen…




    Finkelgruen ging aber noch einmal für 8 Jahre nach Israel: er arbeitete als Korrespondent in Jerusalem. 1989 kehrte er endgültig nach Deutschland zurück und schreibt Bücher.




    Zum Schluss stellt er eine interessante These auf.


    Nach dem Krieg hätten die Deutschen – ob sie „schuldig“ geworden wären oder nicht – eine unglaubliche Angst vor Bestrafung gehabt. Man duckte sich und schwieg.


    Finkelgruen ist der festen Überzeugung, dass das Schweigen über eine so lange Zeit nicht ohne Wirkung sein kann.


    Befragt, welche Wirkung er befürchtet, ist er vorsichtig und zurück haltend. Aber die meisten Zuhörer spüren wohl, dass er mit seiner These nicht so ganz falsch liegt, auch wenn die Auswirkungen des Schweigens immer noch nicht so exakt auf den Punkt zu bringen sind.

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