Erdoğan goes Erdowahn

  • Offenbar geht immer noch mehr bei der Eskalation, die ein Spottvideo und kurz darauf ein geschmackloses 'Schmähgedicht' ausgelöst haben.


    Beleidigung? Keine Frage. Aber wessen?
    Des autokratisch und in vielen Fällen offen repressiv agierenden Präsidenten, oder doch gleich des "gesamten türkischen Volkes", wie es kürzlich ein hoher türkischer Regierungsvertreter anklagend formulierte. Sogar zum "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"(!) wurde das fragliche Gedicht unlängst hochgepuscht.


    Ziemlich eigenartige Sicht, selbst unter Berücksichtigung, dass Männer meist empfindlich reagieren, wenn ein Blick in ihre Unterhose nicht zu begeistertem "Wow!" führt.
    Hunderttausende Armenier, die man türkischerseits abgeschlachtet hat, fallen dagegen einfach nicht ins Gewicht. "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", gar Völkermord? Ach was!
    Was zählt dieses gezielte Morden denn schon gegen einen satirisch bösen Blick auf
    des großen Erdoğan Gemächt?


    Und dann durfte ein türkisches Kamerateam auf dem Gelände des ZDF doch einfach nicht drauflos drehen, wie und wo es wollte. Skandal!
    Privatgelände? Drehgenehmigung? Hä? Was soll das sein?
    D
    eutsche Medien, allen voran das Böhmermann-ZDF, unterdrücken die lupenrein freie Pressearbeit der Türkei. So sieht's aus!
    Aha.


    Zitat

    Der Reporter Mevlüt Yüksel, Angestellter des von Erdogans Schwiegersohn geleiteten Staats-Sender „A Haber“ hatte sich vor dem Gebäude positioniert, um vor Ort über den Fall zu berichten.
    Sein Problem: Er hatte gar keine Drehgenehmigung und offenkundig auch kein Verständnis dafür, dass man eine solche braucht, um auf einem nicht-öffentlichen Gelände drehen zu dürfen...
    Als ein Mitarbeiter des ZDF Yüksel und sein Kamerateam darauf hinweist, versucht der Reporter vor Ort die Situation aus seiner Sicht zu schildern - und geht dabei laut „Bild“ eine Spur zu dramatisch zu Werke:

    Passiert war aber eigentlich gar nichts, denn das ZDF hatte lediglich darauf hingewiesen, dass man ohne Drehgenehmigung keinen Beitrag auf dem Mainzer Gelände produzieren darf - ein Routine-Vorgang.

    (Express)


    Zitat



    A Haber
    Türkischer Reporter beim ZDF Der Rächer des Entehrten
    Beim ZDF wurde Präsident Erdogan beleidigt, also sitzt dort das Übel. Das dachte sich offenbar ein türkischer regierungsnaher Sender und schickte einen Reporter nach Mainz. Es folgen vier Minuten Realsatire. Von Hasnain Kazim mehr...

    (SPON)

    Wieso werde ich den Gedanken nicht los, dass
    Herr Erdoğan sich die Schenkel kloppt bei so viel Hilfe für seine machtpolitische Strategie.:whistling:

  • Es ist wie mit einer krassen 'Daily Soap', eigentlich kann man's nicht mehr sehen/hören/lesen, aber dann ... 8)


    Hier kommt die bisher letzte Folge der Causa 'Erdoğan vs. Böhmermann'
    Spiegel-online und andere Medien
    kämpfen sich durch verschlungene Pfade des deutschen Paragraphendschungels und mutmaßen, welcher davon wohl zur Anwendung käme.

    Böhmermann und seine Familie erhalten ernst zu nehmende Morddrohungen und stehen unter Polizeischutz.


    BILD-Chef Kai Diekmann versucht sich in Satire, erfindet ein minderlustiges Böhmermann Interview und gießt damit eifrig Öl ins türkisch-nationale Empörungsfeuer.
    Das wiederum widert 'jetzt.de' derart an, dass man dort formuliert:

    Zitat

    Das ist kein Spiel mehr, und Diekmann weiß das. Es geht hier leider nicht mehr um einen gefaketen Mittelfinger wie bei Varoufakis, oder um die Grenzen von Satire. Es geht für Böhmermann und seine Familie inzwischen um Leben und Tod. Wenn auch nur ein türkischer Nationalist, aus deren Richtung die Morddrohungen stammen sollen, dieses wiederum "beleidigende" Interview so ernst nimmt wie in den Minuten nach Veröffentlichung die meisten deutschen Journalisten und User, dann sind die Folgen nicht absehbar. Dann erhöht sich die Gefahr für Böhmermann weiter.


    Jemandem, einem Kollegen im weitesten Sinne noch dazu, der unter hohem Druck steht, jetzt verschärfende Äußerungen in den Mund zu legen, ist selbst für einen BILD-Herausgeber unfassbar mies. Dass Diekmann es als Spaß meint, den Text wohl im Alleingang geschrieben hat, macht es nicht besser. Er wird sich sicher sein können, dass die Redaktion, sein Verlag so eine Luftnummer unter BILD-Flagge mindestens billigt. Und damit ist es das alte BILD-Muster: Wer am Boden liegt, wird erst recht zum Ziel. Es ist die publizistische Entsprechung zu den Schlägern, die bewusstlosen Opfern noch einmal ins Gesicht treten.


    Derweil gibt
    Ex-Verfassungsrichter Michael Bertrams der 'FR' ein erhellend deutliches Interview zur Rechtslage, der Anspruchshaltung
    Erdoğans, Merkels voreiliger Geschmacksäußerung und der Verstaubtheit eines 'Majestätsbeleidigungs'-Paragraphen in heutigen Zeiten.

    Zitat

    Böhmermann-Satire
    „Die Verbrechen begeht Erdogan“
    Von Joachim Frank |

    Der Verfassungsrichter Bertrams spricht im Interview mit der FR über den Satiriker Jan Böhmermann, das Verhalten der Bundeskanzlerin Merkel und den türkischen Staatschef Erdogan. Mehr...


    Natürlich dürfen auch Umfragen nicht fehlen. Et voilà:

  • Die Kanzlerin hat die kontroverse Regierungs-Abstimmung zwischen CDU (pro) und SPD (contra) mit ihrer Stimme entschieden - ganz im Sinne Erdoğans gibt sie den Weg frei für ein Verfahren gegen den Kabarettisten Böhmermann nach § 103 StGB, auch "Majestätsparagraph" genannt.
    Zugleich betont sie, dieser Paragraph passe nicht in dieses Jahrhundert und werde daher abgeschafft. Aha.


    Optimisten meinen, der deutsche Rechtsstaat werde für sich sprechen in der "Causa Böhmermann", die doch eigentlich ein 'Fall Erdoğan' ist.
    Die Anderen prophezeien
    noch mehr Prozesse in der Türkei wegen "Beleidigung des Präsidenten" und Erdoğans genüsslichen Hinweis darauf, dass man auch in Deutschland so urteilt. Allen voran die Kanzlerin.


    Thomas Plaßmann in der 'Frankfurter Rundschau' sieht es so:


  • Erinnert ihr euch noch an das Grubenunglück von Soma (im Sommer 2014) mit 300 toten Kumpels, und an die wütenden Proteste gegen Schlamperei und mangelhafte Sicherheitsstandards in türkischen Bergwerken?
    Erdoğan sah sich massiver Kritik ausgesetzt, weil er Unglück und Opfer kaum zur Kenntnis nahm und statt dessen munter weiter auf Wahlkampfreise durch die Lande tourte. Beim längst überfälligen Besuch an der Unglücksstelle wurde er offen beschimpft und attackiert. Seine "Sicherheitskräfte" haben's dann gerichtet - mit Fußtritten und Verhaftungen, wie gewohnt.


    Auch damals hatte die Redaktion von 'extra3' ein Spottlied auf den türkischen Präsidenten im Programm. Nicht weniger deutlich als der "Erdowie, Erdowo, Erdoğan"-Song vor ein paar Wochen.
    [video]http://www.youtube.com/watch?v=Grdb3zHnizo[/video]
    Die Reaktion damals?
    Beschwerde von Seiten
    eines beleidigten Erdoğan?
    Einbestellung des deutschen Botschafters? Forderung nach Löschung des Liedes aus der NDR-Mediathek?
    Nix.
    Die Zeiten haben sich geändert, die Politik, auch Frau Merkel. Und der Neo-Sultan vom Bosporus kommt seinen Zielen näher. :(

  • Der Erdokahn is ja nicht ganz so doof wie er ausschaut. "Damals" war er nicht soo wichtig wie heute. Jetzt brauchen die Europäer ihn, damit sie nicht mit Fluechtlingen geflutet werden. Und ganz besonders Deutschland, muss ihm nun die "Knoblauchzehen" kuessen :thumbdown:

    Die verkorkste Fluechtlingspolitik der Kanzlerin war ein Gluecksfall fuer Erdoman. Nie war er so wichtig wie heute.... :(

  • Das Auswärtige Amt hat seine Sicherheitshinweise für die Türkei ergänzt.
    Dort heißt es nun:


    Zitat

    Besondere strafrechtliche Vorschriften
    Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen bzw. Sympathie mit terroristischen Organisationen zu bekunden.



    "Gegen den türkischen Staat" schließt auch die Person des Präsidenten ein, unter "terroristische Organisationen" fällt u.U. auch die politische Opposition.
    Also Vorsicht beim Anschauen regierungskritischer Zeitungen und satirischer Magazine, oder gar Lachen zu Karikaturen und Witzchen über Erdoğan ... 8|

  • Auch in Venezuela "sitzen" nicht wenige Oppositionelle. Sie wurden unter recht abenteuerlichen Anschuldigungen vorlaeufig "kalt" gestellt. Und das bei 39 Grad im Schatten :|

    demokratisch waehlen lassen und danach autokratisch regieren. So auch in Venezuela seit 17 jahren. Ich moechte wieder in einen Supermarkt gehen koennen, in dem ich alle Produkte des taeglichen Lebens bekomme, ohne mich an den Mangelzustand gewoehnen zu sollen. :thumbdown:


    wenigstens darunter haben die Tuerken nicht zu leiden. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber nicht unbedingt ueberlebensnotwendig. Wir koennen hier noch relativ frei rumblubbern, dafuer suchen wir wie zu Neandertalers Zeiten taeglich nach Lebensmitteln und primitivster medikamentöser Versorgung. Parolen machen leider nicht satt, auch wenn das der gut versorgte Praesident Maduro von seiner Waehlerschaft verlangt :thumbdown:

  • Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber nicht unbedingt ueberlebensnotwendig. Wir koennen hier noch relativ frei rumblubbern, dafuer suchen wir wie zu Neandertalers Zeiten taeglich nach Lebensmitteln und primitivster medikamentöser Versorgung.


    Ob's etwas bringt, Maduros katastrophale Wirtschaftspolitik gegen Erdoğans brutal-repressive Politik gegen Andersmeinende zu stellen?
    Oppositionelle, kritische Journalisten und 'Präsidentenbeleidiger' in türkischen Gefängnissen werden das wohl wenig überzeugend empfinden. Noch weniger die türkischen Kurden, die durch Erdoğans Angriffe auf die eigenen Staatsbürger ihre Familienangehörigen verlieren. :(

  • Bitte nichts mehr von einem beleidigten, wahlweise beleidigenden R.T.Erdoğan hören oder lesen, könnte man wünschen? Daraus wird nix !
    Vor kurzem gab's heftige Beschimpfungen aufgrund des Bundestagsbeschlusses zur Einstufung der Armenierverfolgung als 'Völkermord'. Sogar Blutproben von deutschen Bundestagsabgeordneten forderte der Mann vom Bosporus ein.


    Nun erreicht uns Neues aus Louisville, wo heute die Boxlegende Mohammad Ali mit einer Trauerfeier geehrt und zu Grabe getragen wird.
    Tayyip Recep
    Erdoğan hatte sich angekündigt und wohl der Illusion hingegeben, die muslimischen Glaubensbrüder mit großzügigem Geschenk und publikumswirksamem Auftritt am Sarg des großen Boxers und Bürgerrechtlers beeindrucken zu können. Also kündigte er an, eine Rede halten, den Sarg mit einem kostbaren Tuch aus Mekka bedecken und dazu Koranverse rezitieren zu wollen. Die Familie des Toten widersprach.
    Sie akzeptierte zwar das Geschenk, verweigerte dem türkischen Präsidenten aber jeden Auftritt an Mohammad Alis Sarg. Das kostbare Tuch könne jemand aus der Familie platzieren, und Koranverse würden vom Gemeindesprecher rezitiert.
    Präsident
    Erdoğan sah sich düpiert und reiste "sehr gekränkt" ab ... nicht ohne das mittlerweile übliche, heftige Gerangel seiner eigenen Sicherheitskräfte mit denen des Gastlandes.


    dtj-online



    In der 'Zeit' konstatiert Leserin Johanna Meiermann:

    Zitat

    [...] Das war eine Trauerfeier, nicht Speakers Corner im Hyde Park am Sonntagmorgen. Wenn auf der Beerdigung meines Opas der Bürgermeister von sonstwoher erschienen wäre und verlangt hätte, eine Show nach eigenem Drehbuch zu veranstalten, hätte ich ihm sofort gezeigt, wo der Ausgang ist. Wie kommen Sie denn auf die Idee, da hätte Wer-auch-immer irgendwelche Ansprüche auf Programmgestaltung?

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