"Verstand ohne Gefühl ist unmenschlich; Gefühl ohne Verstand ist Dummheit."
Egon Bahr
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Was hat dieser Mann nicht alles getan für's nachkriegsdeutsche "Mehr Demokratie wagen" ...
Neben dem charismatischen Brandt blieb er im Auftreten meist zurückhaltend, seine Arbeit im Hintergrund. Aber die "Politik der kleinen Schritte“ war, wie auch der "Wandel durch Annäherung“, seine Vorgabe. Die Brandtsche Ostpolitik der Aussöhnung mit Polen, die beharrlichen Verhandlungen mit DDR und UdSSR - undenkbar ohne Egon Bahr. Die Ostverträge - nicht zuletzt sein Erfolg.
Wer ihn in Diskussionsrunden erlebte, konnte lernen, lernen, lernen.
Umfassendes Wissen auf vielerlei Gebieten -nicht allein der Tagespolitik- persönliches (Geschichts-) Erleben, begründete Analysen und die präzise Sprache machten seine Beiträge zu einem echten Gewinn. Er hat viel politischen Widerspruch geerntet, aber ich habe nicht erlebt, dass sich dieser Mann abfällig oder gar ausfallend gegenüber Kontrahenten verhalten hätte.
Kommt mir bei vielen Politikern seiner Generation die BAP-Zeile von den "ahl Männer - aalglatt" in den Sinn, passiert das bei ihm sicher nicht.
Unvergessen seine öffentlichen Tränen beim Rücktritt Willy Brandts, als er seine Emotionen über den doppelten Verrat -den des engen Mitarbeiters im Kanzleramt, Guillaume, und den des illoyalen Parteivorsitzenden, Wehner- nicht mehr im Zaum halten konnte.
Zuletzt hat man Bahr heftig dafür angegriffen, dass er die NATO-Strategie zur Ukraine scharf kritisierte und davor warnte, das mühsam erarbeitete Friedensgebilde in Europa zu gefährden. Wie auch andere gestandene Ostpolitiker hat er sich dafür als 'Putinversteher' abwatschen lassen müssen.
Verstanden hat er allerdings ! Sogar sehr viel mehr, als man von vielen seiner Kritiker oder Kollegen behaupten kann. Gut geheißen hat er dafür deutlich weniger.
Im Gespräch mit Heidelberger Schülern äußerte Bahr vor gut einem Jahr:
"In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt."
"Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben..."
Das klingt nicht schön, eher wahr - und auffordernd ...
Letzte Nacht ist Egon Bahr im Alter von 93 Jahren gestorben.
Ich werde ihn sehr vermissen.