Regionalsprachen und Dialekte gibt's viele in Frankreich. Aber sie werden nicht gefördert, seitens der Politik kaum toleriert und dürfen nur in Privatschulen gelehrt werden.
Man stelle sich das mal vor - Kölle ohne uns' Kölsche Sproch ...
ZitatAlles anzeigenVon der Bretagne bis nach Korsika
Frankreich: Dialekte und Sprachen fordern ihr Recht
- von Stefan Brändle
Menschen in Frankreich wollen ihre Regionalsprachen fördern. Doch Paris legt sein Veto ein.
Paris - Der Junge heißt Fañch, er wohnt in der Bretagne und ist vier Jahre alt. So lange dauert auch der Streit um seinen Vornamen – oder präziser: um die Tilde auf dem „n“. Denn der französische Staat erachtet das Wellenzeichen als illegal.
Fañchs Eltern Lydia und Jean-Christophe Bernard bemerkten dies, als sie den Vornamen in ihrem bretonischen Wohnort Rosporden in den Geburtsschein eintragen wollten. Eine Tilde existiere nicht in der französischen Sprache, wurde ihnen am Schalter klipp und klar bedeutet.
Seither kämpfen die Bernards vor Gericht für ihr Recht. Sie sind nicht die Einzigen: Überall im Land setzen sich Bürger:innen dafür ein, dass ihre Regionalsprache als offizielles Idiom zugelassen wird. Das gilt nicht nur für das Bretonische, sondern auch für das Elsässische, das Korsische, Okzitanische, Katalanische, Baskische, Fränkische oder Picardische – Letzteres durch die nordfranzösischen „Ch’tis“ bekannt.
Gute Gesetze, hartes Recht
Im April erhielten die Sprachregionen politische Hilfe: Mitglieder der Macron-Partei „La République en marche“ brachten ein Gesetz zur finanziellen, schulischen und administrativen Förderung regionaler Idiome durch die Nationalversammlung. Diakritische Zeichen wie die Tilde wurden ebenso zugelassen wie „immersiver“ (vertiefter) Dialekt-Unterricht. Aus Freude über den Abstimmungsausgang, der sie selber überraschte, stimmten die Siegreichen auf der Parlamentstreppe die bretonische Hymne „Bro gozh ma Zadoù“ an.
Sie hatten aber die Rechnung ohne den Zentralstaat gemacht. Einer seiner mächtigsten Arme, der Verfassungshof, der die Einhaltung der Grundrechte von 1958 überwacht, hat im Mai die beiden wichtigsten Punkte des neuen Regionalsprachen-Gesetzes aufgehoben. Diakritische Zeichen werden ebenso verboten wie der „immersive“ Regionalsprachunterricht. Zur Begründung verweist der Conseil Constitutionnel auf Artikel zwei der Landesverfassung, der unmissverständlich lautet: „Die Sprache der Republik ist Französisch.“
Frankreich: Regionalsprachen nur an Privatschulen
Die bisherige Regelung, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammt, gilt damit weiter: Regionalsprachen dürfen nur an Privatschulen – in der Bretagne heißen sie „Diwan“ – gelehrt werden. An öffentlichen Schulen werden die Idiome höchstens als Freifach angeboten. Mehr ist nicht zulässig.
Die Folgen sind gravierend. Selbst in der Bretagne, die noch über eine starke regionale Identität verfügt, lernen nur acht Prozent der Grundschüler:innen ihre keltische Sprache, und das mit mäßigem Erfolg. Die 58 Dialekte und Idiome, die vor allem in den Randregionen Frankreichs, also weit entfernt von Paris, gesprochen werden, sterben aus.
Frankreich fördert seine Sprachvielfalt nicht nur nicht, es bekämpft sie sogar bewusst. Dass republikanische Lehrkräfte Schüler:innen auf die Finger klopfen, wenn sie aus Versehen ein Dialektwort benutzen, kommt zwar dem Vernehmen nach seit den 1960er Jahren nicht mehr vor. Heute straft der Verfassungshof die Regionalist:innen mit juristischen Mitteln.
Auch in der Sprache: Die Republik ist „unteilbar“
Die Gründe für dieses autoritäre Verhalten gehen tief. Frankreich, das keltische, lateinische und germanische Wurzeln und eine streitbare gallische Seele hat, fürchtet bis heute die Zentrifugalkräfte an seiner Peripherie und das Auseinanderfallen der Nation. Föderalistische Nachbarstaaten wundern sich über diese Ängste, erscheint ihnen doch Frankreich als ein Land mit einem gesunden Nationalstolz, getragen von starken Symbolen wie der Trikolore und der Marseillaise.
Die stets skeptische, jakobinische Fraktion in Paris traut den Menschen der Randregionen aber nicht zu, neben ihren regionalen Wurzeln auch patriotische Gefühle hegen zu können. Deshalb macht die französische Verfassung schon im ersten Artikel klar, dass die Republik „unteilbar“ sei. Und auf der linguistischen Ebene sorgt die Académie Française seit dem 17. Jahrhundert und mit regelmäßigen Gesetzen dafür, dass Bürger:innen die gleiche Sprache verwenden.
Auch ohne ausgeprägte regionale Identität stören sich aber laut Umfragen mehr und mehr an dieser von oben dekretierten Uniformität. Im Internet hagelt es Kritik am Entscheid des Verfassungshofes. Ende Mai demonstrierten Tausende bei mehreren Protestdemos von der Bretagne bis ins Elsass, von Nordfrankreich bis ins Baskenland.
Wohlige Worte, wenig Taten
Sogar der Präsident, oberster Wächter nationaler Einheit, hatte zuvor die Regionalsprachen verteidigt, weil sie eine „Bereicherung“ des nationalen Kulturerbes seien. „Die gleiche Farbe, die gleichen Akzente, die gleichen Worte – das entspricht nicht unserer Nation“, kritisierte Emmanuel Macron erstaunlich deutlich.
Diese Aussage dürfte allerdings eher wahlpolitisch motiviert sein als echter Überzeugung entsprechen. Den Beweis, dass er sich für die Idiome starkmachen will, ist Macron bisher schuldig geblieben. Wie all seine Vorgänger im Elysée-Palast: Die europäische Charta der Regionalsprachen von 1992 hat Frankreich unterschrieben, aber bis heute nicht ratifiziert. Auch Fañch wird sich noch eine Weile gedulden müssen, bis er eine Tilde verwenden darf. Aber er ist ja erst vier. (Stefan Brändle)
Frankreich, Land vieler Sprachen. © FR-Grafik
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